Überdosis Liebe

March 19th, 2010

Am Berliner Landgericht wird gerade der Fall eines Arztes verhandelt, der psycholytische “Intensivsitzungen” unter Gabe von MDMA, Methylon und anderen Psychoaktiva abhielt. Bei einer solchen Runde im letzten September verstarben zwei der Patienten. Nicht zuletzt wegen der Verbindung des Arztes zu ECBS-Mitbegründer Samuel Widmer und seiner “therapeutisch-tantrisch-spirituellen Universität Lennigkofen-Lüsslingen” trötete die Schweinepresse wie etwa die “Berliner Zeitung” sofort herum:

>>Ein Patient liegt noch im Koma
SEKTE – Der Berliner Mediziner, an dessen Drogencocktail zwei Patienten starben, hatte Kontakt zu einer obskuren Gemeinschaft in der Schweiz. Seriöse Psychotherapeuten gehen auf Distanz.<
< Der Arzt steht nun wegen versuchten Mordes, Körperverletzung mit Todesfolge sowie gefährlicher Körperverletzung unter Anklage. Während in der prozeßbegleitenden Berichterstattung auffällt, daß die Dämonisierung des Arztes weitgehend ausbleibt und fast überall erwähnt wird, daß er den Patienten freistellte, die Substanzen zu nehmen und sie über die Risiken aufklärte, wird das zugrundeliegende Problem nur in Spartenmedien wie dem taz-blog “Drogerie” angesprochen: daß die toten Patienten noch am Leben wären, wenn die Mittel legal und entsprechend zuverlässig und abgewogen verfügbar gewesen wären.

Denn es gibt keinen Grund, hier einem Verteidigungsreflex zu erliegen und inmitten von Gruppendynamik und spirituellen Hierarchien (Widmers Seite: “Diejenigen unter uns, die ein Gefäss der Liebe geworden sind, die im Stande sind, ihr in sich Heimat zu geben, sind unsere Könige und Königinnen. Weil sie die Liebe sind, sind sie unsere Gurus, unsere Lehrer.”) einfach von Freiwilligkeit zu reden oder gar die Verantwortlichkeit des Arztes nicht nur als staatlich geprüfter Facharbeiter am Patienten sondern als Mensch zu relativieren, um festzustellen, daß Überdosierung sonst in der Medizin vermutlich deshalb seltener vorkommt, weil bei der Verabreichung legaler Substanzen niemand selbst während der Prozedur die Dosis abwiegen muß.

Bezüglich der Aufklärung über die Risiken heißt es hingegen sogar bei der “Drogerie“:

>>“Er sagte, dass die Stoffe uns zur Verfügung stehen”, sagt Mike und “Jeder sollte sich überlegen, was er an diesem Tag machen möchte, ob er überhaupt Substanzen nehmen möchte und wenn ja, welche” – “Meines Erachtens hat er darauf hingewiesen, was diese Substanzen bewirken können und auch, dass Nebenwirkungen auftreten können.” Umfassende Aufklärung fehlte wohl jedoch: “Was es war, weiß ich nicht, welche Inhaltsstoffe da drin sind”, sagt Mike. Er hat Neocor genommen. Ein Blick ins Netz hätte ihn schlauer gemacht.<< Und Kirschblüten sehen auf Acid sicher toll aus (tun sie ja auch ohne), Widmers "Kirschblütengemeinschaft” scheint mir aber doch ein recht klassischer Fall von Liebessport und ranziger Poesie:

>>Wir sind Liebende. Unser Guru, dem wir dienen, ist die Kraft der Liebe. Wir stehen nicht mehr in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, haben Neid und Eifersucht hinter uns gelassen. Wir haben gelernt, uns am Glück und Erfolg der anderen zu freuen. Darum sind zwischen uns Liebe und Nähe möglich, ein gemeinsames Blühen, in dem man alles Glück und alle Liebe zusammen teilt. (…) Die Therapeutische Universität ist in ihrer Essenz daher nichts anderes, als ein Feld der Liebe, ein Feld, hervorgebracht von Menschen, die einander vollkommen in Liebe verbunden sind. Die Therapeutische Universität existiert lediglich in diesem Geist der Liebe. Wenn er uns abhanden käme, bliebe nichts als eine leere Struktur, eine leere Form, eine Idee, ein weiteres Institut, das eigentlich keine Bedeutung hat.<< Im Tonfall treu geblieben ist allerdings die "Berliner Zeitung“:

>>Und er hat von 1997 bis 2000 eine Ausbildung in der Schweiz bei dem sehr umstrittenen Psychiater Samuel Widmer gemacht. Der ist bekannt für Drogenexperimente und nennt seine Substanzen “ungefährlich”. Experten werfen ihm “wissenschaftlich nicht anerkannten Nonsens” vor. Insbesondere Menschen in der Lebensmitte, die irgendwann auf den Esoterik-Trip geraten, würden dadurch angesprochen, heißt es.<<

8 Responses to “Überdosis Liebe”

  1. lasterfahrer Says:

    unheimlich. “dem wir dienen, ist die Kraft der Liebe.”
    solche leute machen mir angst.

  2. Genosse der Bosse Says:

    @ Laster: Deine Musik mir auch.

  3. K Says:

    Der finstere, durchgedrehte, experimentierfreudige Psychiater. Eine klassische Figur der Moderne.

  4. lasterfahrer Says:

    GdB: wow!

    aber ist das hier thema?

    nö.

  5. Aktionskletterer Says:

    In dem zitierten Selbstverständnis schimmert noch das Bemühen durch, einen Personenkult gezielt auszusparen, ebenso wie diverse historische Anleihen, aber leider geht das alles unter in einem rhetorischen Übermaß an Wirgefühl. So wird die an sich grundsätzlich sinnvolle Idee, sich vor Antritt einer gemeinsamen spirituellen Reise darüber zu vergewissern dass man auch ans selbe Ziel will, zu einer Farce welche sich nur noch aus dem Distinktionsgewinn speist, und vielleicht der eine oder die andere Reisende darob zu Tode erschreckt. Andererseits ist aber ein völlig transparenter Umgang mit den Mitteln der Bewußtseinserweiterung unter den Bedinungen staatlich verordneter Prohibition ebenso unmöglich wie das sprichwörtliche wahre Leben im falschen, und wenigstens an den Schnittstellen muß irgendeine Art von Abschirmung oder Tarnung stattfinden, so dass auch das esoterische Empathiefeuerwerk seinen Zweck hat.

  6. required Says:

    verstehe nur, das wenn ein arzt einen fehler macht es für die patienten auch mal tödlich ausgehen kann. der rest ist geschichte, zb legalize it oder frag du den staat oder die gesellschaft was erlaubt ist. in der schweiz werden mdma und lsd schon lange in der psychatrie eingesetzt, mit allen bekannten nebenwirkungen… aber obs helfen kann ? wenns hilft !

  7. Alexandra Says:

    Dass so mancher Patient es nicht überlebt, wenn der Arzt mal einen Fehler macht, ist die eine Sache, aber hier geht es doch auch noch um etwas ganz anderes. Hier wurden nicht zugelassene Behnadlungsverfahren angewandt und wenn man sich die Kommentare der Patienten anhört, ohne wirklich sachkundige Aufklärung. Ein Arzt kann doch nicht seine Patienten entscheiden lassen, nach welchem Meidkament ihnen heute ist, besonders wenn sie keine Ahnung von deren Wirkungsweise und Inhaltsstoffen haben. Unverständlich dass das ganze in dieser Form ablaufen konnte.

  8. Aktionskletterer Says:

    Doch, in der Schmerztherapie ist es sogar der Idealfall dass der mündige Patient sich selber dosiert. Allerdings muss das erst erlernt werden, und dafür ist die Kriminalisierung meistens ein KO-Kriterium.

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