Ökonomischer Gottesdienst, armer kleiner Kollege

October 6th, 2010

Wir stehen insgesamt zu zweit mit Ständen in der Mall und sind dadurch blöderweise aneinandergekettet.

Er ging mir von Anfang an auf die Nerven. Das einzig halbwegs Sympathische sein Lamento über das allgemeine Zuviel an Arbeit und den Zwang zum Geldverdienen. Nach der n-ten Wiederholung, und als gerade mal keine Kunden vorbeiliefen, sagte ich daraufhin, so sei er eben, der Kapitalismus.

Und er: “Oder der Zionismus.”

Und schwuppdiwupp war er bei den Rothschilds. Und was uns über den Zweiten Weltkrieg erzählt wird. Und der Holocaust wird übertrieben. Zyklon B ist viel zu aufwendig in Gas umzuwandeln. Die Medien behaupten das alles bloß, er hat sich aber informiert. Und jetzt weiß er: Wir müssen immer noch dafür bezahlen, weil die zionistischen Medien uns das einreden. Er selbst muß immer noch dafür bezahlen, was die Zionisten machen, z.B. für das, was sie mit den Palästinensern machen, und das, obwohl er doch für den Frieden ist. Und natürlich: “Glaubst du etwa nicht, daß der 11. September ein Inside Job war?”

Ich versuche ihn zu bremsen, er redet immer lauter und schneller, ich irgendwann auch, obwohl ich eigentlich versuche, das Gespräch zu beenden – wir sind ja immer noch am selben Ort in derselben Rolle. Als er wieder mit dem Holocaust anfängt und ich mich angesichts der Umstände außerstande sehe, ihn irgendwie davon abzubringen, kläre ich ihn schließlich darüber auf, daß er gerade eine Straftat begeht. Das bringt ihn endlich etwas zur Ruhe.

Er wird jetzt kleinlaut und meint, er könne ja verstehen, daß ich aufgebracht bin, es wäre ja auch aus noblen Gründen. Wenn ich das alles glaube, muß ich ja… Ob ich denn… selbst… aus religiösen Gründen… Was ich denn glaube, warum manche Bücher verboten sind?

Die Antwort fällt mir nicht schwer: “Den Index gibt’s wegen Leuten wie dir.” Viel zu helfen scheint er aber nicht.

Jetzt überlege ich, ob ich ihn irgendwie loswerden kann, weil er sonst vermutlich die ganze Woche ständig wieder damit anfangen wird. Aber mir fällt nichts ein, was nicht gleich wieder auf mich zurückfallen würde. Und inhaltlich hätte er hier mit dem meisten, was er sagt, starke Mehrheiten auf seiner Seite.

Ich trete die Flucht nach vorn an und quatsche einfach sämtliche Kunden an, die vorbeikommen. Wenn er bloß nicht arbeiten mag, weil er glaubt, damit die Rothschilds reicher zu machen, gebe ich gern den Antreiber.

8 Responses to “Ökonomischer Gottesdienst, armer kleiner Kollege”

  1. Donauwelle Says:

    Falsch, eine Zensur findet statt weil es ein autoritäres Bedürfnis gibt. Das Problem Deines Kollegen ist dass er konservativ ist, da steht das Selbstmitleid im Mittelpunkt, und seine Bereitschaft es mit Dir zu teilen ist ein Ausdruck von Empathie auf seinem Niveau. Der Bundesprätendent macht es ihm vor: Als er den Erfinder der vorgeblichen “jüdischen Vermächtnisse” an die konservative Partei “göttlich” nannte war ihm wohl ebenso wenig bewusst was für ein Fass er damit aufmacht, auch theologisch gesehen, wie seinem israelischen Amtskollegen. “Inside Jobs” gehören zum Vermächtnis der deutschen Konservativen ebenso selbstverständlich wie solche Esel zum Arbeitsalltag, bzw. umgekehrt. Glaub aber nicht dass die Juden die schwarzen Köfferchen befüllt haben, schon eher irgendwelche Antisemiten, und die Politiker haben krampfhaft versucht den Spieß umzudrehen. Wer weiß was hierzulande vielleicht alles in die Luft geflogen wäre hätten sie nicht gemacht was die Spender wollten.

  2. Xenu's Pasta Says:

    Auch wenns jetzt ein wenig banalisierend klingt, ich denke wirklich, dass Leute das Bedürfnis haben, gemeinsam zu jammern. Sich mit seinem Gegenüber in eine Schicksalsgemeinschaft zu konstruieren ist für die meisten Leute Einstiegsritual um “echte” Gemeinsamkeiten zu erkunden, sozusagen ne Art soziale Diplomatie.
    Üblicherweise dient dazu ein unverfängliches Thema, d.h. eines, welches wahrscheinlich eine Konsensreaktion hervorruft. Das traurige ist, dass er seine pathische Projektion tatsächlich dafür hält.
    Ich finde ja das Wetter, den Verkehr oder meinetwegen sogar irgendeinen vorgestrigen Internethype für wesentlich geeigneter.

  3. gelowicz Says:

    Welche Mall, was für ein Stand und warum arbeiten da so komische Menschen?

  4. classless Says:

    @ Donauwelle

    Das mit der Zensur war die Notwehrantwort.

    @ Xenu’s Pasta

    Es ging halt weit übers durchaus übliche Gejammer hinaus, er redete sich heiß und wurde laut. Aber es scheint jetzt auch ein bißchen was in Bewegung geraten zu sein, gestern las er schon den Wikipedia-Artiekl über Antisemitismus…

    @ gelowicz

    Wie immer gilt: wenn ich sagen will, wo ich bin und wie Menschen heißen, dann mache ich das. Und nach meiner Erfahrung arbeiten praktisch überall seltsame Menschen.

  5. Donauwelle Says:

    @classless – Ich wollte lediglich andeuten dass es auch antiautoritäre Möglichkeiten gibt mit der Panikreaktion umzugehen. Wenn Dir einer sprichwörtlich den Teufel an die Wand malt, dann male noch ein paar rhetorische Karikaturen davon dazu, das sorgt für Realitätsabgleich. In meinem Beispiel: Wenn der 11. September so etwas ähnliches wie die CDU-Spendenaffäre war, dann muss es auch eine Entsprechung dazu geben dass Karlheinz Schreiber bezeugen kann wem der Einheitskanzler sein Schandwort gegeben hat (sicherlich nicht der in seinem Wohnort geborenen Amokläuferin von neulich).

  6. classless Says:

    Ich glaube, ich habe es anfangs relativ antiautoritär versucht, darauf hat er aber einfach nicht reagiert.

  7. derivat Says:

    meiner erfahrung nach verlieren verschwörungstheoretiker*innen schnell das interesse an einem gespräch, das sie ernst und “wissenschaftlich”, mit fakten begründet führen möchten, wenn ich meine verschwörungstheorie auspacke: es waren nämlich ufos, die sowohl ins pentagon als auch die twintowers geflogen sind – und zwar hunderte, aber so schnell, dass sie nicht zu sehen waren, bzw. als schwarm, wie flugzeuge aussahen. aber vorsicht, damit machst du die richtig agressiv.

  8. Donauwelle Says:

    @derivat – Wenn die außerplanetarische Opposition drei Flugzeuge samt Passagieren und Personal spurlos verschwinden lassen kann, wieso dann nicht Fort Meade, Langley und das Hoover Building? Das wäre doch mal wirklich intelligentes Leben!

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