Reichswehr nach Connewitz?

January 5th, 2020

Auf meinen Seiten zur Revolution vor hundert Jahren soll es hauptsächlich um deren Rekonstruktion und Sichtbarmachung gehen, dazu gehört auch ihr Nachwirken und ihre Verwendung für spätere und heutige politische Positionierungen und Ideologie. (Zum Beispiel Robert Habeck.)

In den Kommentaren (vor allem auf der Facebook-Seite) finden sich laufend solche Rückbezüge, die sich manchmal diskutieren lassen, oft aber mit Beschimpfungen und Hetze einhergehen. Vor allem aber widersprechen sie sich: so bejubeln AfDler einerseits die Freikorps, die die Revolution niederschlugen, um andererseits eine Revolution “wie damals” gegen das “Merkel-Regime” herbeizusehnen – weil Merkel sich weigert, die Großbetriebe zu vergesellschaften und die faschistischen Strukturen in der Staatsgewalt zu zerschlagen? Teilweise geben sich die gleichen Leute auch noch als Monarchisten zu erkennen, was das gegenwärtig charakteristische Nebeneinander von autoritärem Nationalismus und neoliberaler Ideologie in die Geschichte hinein verlängert.

Manche SPDler wiederum rechtfertigen und leugnen den Terror der Freikorps im selben Satz, sagen im wesentlichen: die Massenmorde, die es nicht gegeben hat, waren notwendig. Und so ist der Kommentar, der hier im Bild zu sehen ist (aber anderswo getätigt wurde) in mehrerlei Hinsicht typisch: die heutige Situation (Connewitz, Schupelius) wird krumm und schief auf die damalige geschraubt, und es wird nach härterem Durchgreifen gerufen, ohne dessen Realität explizit zu machen.

Dieser heutige SPDler ruft also nach einem “Bluthund”, der sich (noch übers bestehende Maß hinaus) mit Militär und Kapital verbündet, um die Durchsetzung des eigenen Parteiprogramms zu verhindern. Er ruft nach einem, der völkisch-antisemitische Truppen auf Streikende und Protestierende loslässt und zur offiziellen Armee macht; er will noch mal einen, der als Reichswehrminister für Tausende Tote verantwortlich war.

Und dann heißt es, damit wäre ja aber der Sieg des “Bolschewismus” verhindert worden. Verhindert wurde, dass die mehrheitlich artikulierten Ziele der Revolution – Demokratisierung von Politik, Militär und Wirtschaft – durchgesetzt werden konnten. Die Organisation nach sowjetischem Vorbild erhielt in Deutschland erst durch die Erfahrung der Konterrevolution im Laufe der Zeit eine größere Anhängerschaft – auch die Radikalisierung der Revolution verlief bis 1920 eher in Richtung noch konsequenter demokratischer Räteherrschaft und direkter Vergesellschaftung von unten. Die Rechtfertigung müsste eigentlich lauten: zur Abwehr einer kaum realen Gefahr und zur Rettung unserer Posten haben wir den Nationalsozialismus mit aus der Taufe gehoben.

Vor hundert Jahren, im März 1920, streikten, demonstrierten und kämpften auch in Leipzig und Umgebung Massen bei der Abwehr des Kapp-Lüttwitz-Putsches. Ein großer Teil des Widerstands ging vom Süden der Stadt aus, wo sich u.a. mit der Leipziger Volkszeitung das Zentralorgan der USPD und mit dem Volkshaus einer der wichtigsten Versammlungsorte befanden. (Im November 1918 verstärkte sich die Revolution, als sie in Leipzig gerade ausbrach, nicht zuletzt aus Connewitz, wo besonders viele einquartierte Soldaten USPDler waren: „Am 8. November gegen 2 Uhr bewegte sich ein Zug Soldaten (400-500 Mann), mit einer roten Fahne an der Spitze, durch die Südstraße nach Connewitz. Eine Stunde später marschierte der inzwischen durch die ConnewitzerMassenquartiere auf etwa 800 Mann verstärkte Trupp mit Gewehren zurück ins Innere der Stadt.”S.163ff.)

Nachdem der Kapp-Lüttwitz-Putsch durch Generalstreik und entschlossenen Widerstand vereitelt und die rechte SPD-Führung wieder zurück an der Regierung war, sandte diese ihre Reichswehr, darunter auch Putschtruppen, gegen all jene, die den Generalstreik bis zur Erfüllung aller Forderungen, also auch Sozialisierung der Großindustrie und Entwaffnung des konterrevolutionären Militärs, fortsetzen wollten.

Am 19. März 1920 greift das studentische Zeitfreiwilligenregiment der Reichswehr das Leipziger Volkshaus an und zerstört es fast völlig.

Wer heute wegen eines brennenden Einkaufswagens, eines verletzten Polizeibeamten und eines brennenden Autos nach Noskes Terrortruppen ruft, scheint den nächsten Putsch der Staatsgewalt wohl gar nicht erwarten zu können.

Wer zum 100. Jahrestag der mehr als 100 Toten der Kämpfe in Leipzig gedenken will, kann das an der Stelle auf dem Südfriedhof machen, wo einmal das Mahnmal der Märzgefallenen stand.

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