Revolution 1920, Teil VI: Das Bielefelder “Abkommen”

March 22nd, 2020

Am 23. März 1920 trafen Vertreter der Regierung und der Roten Ruhrarmee eine Vereinbarung, die als Bielefelder Abkommen bekannt wurde: Einstellung der Kampfhandlungen, die Entwaffnung, Auflösung und Bestrafung der Putschtruppen, sofortige Sozialisierung der dafür reifen Betriebe und Einrichtung demokratischer Ortswehren. “Ob es ein wirkliches Abkommen war, kann bezweifelt werden”, schreibt Klaus Gietinger, “denn die Vetreter der Roten Ruhrarmee im Westen waren draußen, die Regierungsvertreter hatten keine Vollmacht, die Reichswehrbeobachter unterschrieben es nicht und Severing [von der Regierung] wollte ja eigentlich nur die Spaltung” der östlichen und westlichen Kampfleitungen im Ruhrgebiet, die sich tatsächlich über dieses Abkommen entzweien.

Am Vortag war der Generalstreik reichsweit offiziell für beendet erklärt worden (USPD und KPD forderten die Fortsetzung), die Kämpfe außerhalb des Ruhrgebiets waren (bis auf das Vogtland) mit dem Ende der Schlacht um Halle (siehe auch) weitgehend vorüber. Dort war eine Reichswehr-Verstärkung von 1000 Mann aus Magdeburg mit Maschinengewehren, einem Geschütz und einem Panzerwagen den Arbeitern im Norden der Stadt in den Rücken gefallen, erbitterte Kämpfe brachen aus. Eine Gruppe von 20 Jungkommunisten unter Führung von Willi Zschammer, die schließlich am Galgenberg den Abzug der Arbeiterwehren deckten, wurden dabei aufgerieben, viele werden von Granaten zerfetzt, einige von Soldaten beim nachfolgenden Angriff erschossen – zehn von ihnen fallen, acht werden teilweise schwer verwundet. Noch die sich auflösenden Verbände der Arbeiter werden von der Reichswehr attackiert und erleiden hohe Verluste. Es folgen Hausdurchsuchungen, 100 Festnahmen und zahlreiche Misshandlungen in Halle, zwei Arbeiter wurden “auf der Flucht erschossen”. Die Reichswehrtruppen ziehen ab ins Ruhrgebiet, dennoch kommt es in den folgenden Tagen in der weiteren Umgebung von Halle zu weiteren Kämpfen, in Quedlinburg sterben dabei 18 Arbeiter. In Eisleben lassen die Arbeiter nach heftigen Gefechten wegen eines gefälschten Befehls vom Aktionsausschuss einen Panzerzug abziehen. Gietinger: “Es gelang den Putschisten aber nicht, Eisleben zu erobern.”

Die Rote Ruhr hatte sich stabilisiert und störte weiter den neuen Frieden zwischen Regierung und Reichswehr. Vor allem durch Vorstöße nach Norden und Westen war nun ein zusammenhängendes Gebiet zwischen Lippe und Ruhr sowie das Bergische Land unter Kontrolle der mittlerweile schätzungsweise 50.000 “Rotgardisten” – 100 in wenigen Tagen aufgestellte Kompanien, von denen 50 nach ihrem Heimatort heißen, 30 nach Kommandeuren und 13 nach Arbeiterführern wie Luxemburg, Liebknecht, Eisner, Haase, Bebel. Neben der Zentrale in Hagen (USPD, SPD, DDP) und dem parteiübergreifenden Aktionsausschuss in Essen bildet sich Im Westen des Ruhrgebiets (Mülheim, Duisburg, Hamborn) eine dritte, syndikalistisch und linkskommunistisch orientierte Kampfleitung, die im Bielefelder Abkommen (zurecht) eine Falle sieht und die, anders als Hagen und Essen in Vertrauen auf die Vereinbarung, den Kampf nicht einstellen will.

Im westlichen Ruhrgebiet war bereits Anfang 1919 die Forderung nach “Sozialisierung von unten” besonders laut gewesen, also nach direkter Vergesellschaftung vor allem der Bergwerke durch die Belegschaften, und auch jetzt werden wirtschaftliche Betriebsräte eingerichtet, die allgemein Löhne erhöhen, den Lohn der Frauen auf drei Viertel der Männer anheben. Gietinger schreibt zu deren Lage: “Frauen mussten ihren Arbeitsplatz ‘heimkehrenden’ Männern überlassen. Amelie Schaumann war die einzige Frau, die bei den Räten etwas zu sagen hatte. Von Emanzipation sprach kaum noch jemand. Nun, die Räte im Pott hatten auch nur 14 Tage Zeit, ein anderes Leben zu leben und sicherlich wäre andernfalls die Basis- und Rätedemokratie weiter fortgeschritten und es wäre auch zu Vergesellschaftungen von unten und zu mehr Beteiligung von Frauen gekommen.” In der Roten Ruhrarmee sind Frauen, anders als teilweise noch 1919, nicht als Kämpferinnen, sondern nur als Krankenschwestern im Einsatz (es melden sich so viele, dass ein großer Teil abgewiesen wird) – die Phantasie der Freikorps malt sich dennoch “bewaffnete rote Huren” aus, entsprechende Gräuel werden später folgen.

Während die Regierung ihre Truppen, die zum Großteil gerade erst auf der Seite des Putsches gestanden hatten, um das Ruhrgebiet zusammenzieht und die Auswirkungen von Bielefeld abgewartet werden, erklärt Innenminister Koch-Weser zur Vereinfachung des Feindbildes die gesamte Rote Ruhr zu “Kommunisten” und Ebert denkt laut nach: “Man muss keine Nahrungsmittel und kein Papiergeld schicken”, Schuchtmann (auch SPD) sagt es deutlicher: “Aushungern”. Das war bereits Ende April 1919 neben der brutalen Besatzung das Hauptmittel der Regierung und des Militärs gewesen, um den Generalstreik im Ruhrgebiet zu beenden.

General Watter, der von Münster seine Truppen aufmarschieren lässt, gibt am 22.3. einen Geheimbefehl heraus: “In jedem Bewaffneten ist der Feind zu sehen. Unbewaffnete Massen haben ebenfalls auf der Straße nichts zu suchen. Sie müssen durch Feuer zersprengt werden.” Tags zuvor war die Marinebrigade Ehrhardt aus Berlin abgezogen und hatte am Brandenburger Tor noch mal in die Menge geschossen (siehe Bild zum Posting). Am gleichen Tag wurde auch anderswo in Berlin in Menschenmengen gefeuert, und es kam zu Kämpfen in Adlershof, bei denen 7 Arbeiter, aber auch 24 von der Reichswehr, überwiegend Studenten, starben – 9 Arbeiter werden hinterher an die Wand gestellt. Es wird oft vergessen, schreibt Gietinger, dass auch in Berlin “200 Menschen als Folge des Putsches” starben.

Zu Halle: Das Lied “Schlacht am Galgenberg”, gedichtet von Manfred Bieler und vertont vom Oktoberklub (DDR).

Übersichtsposting zum März/April 1920: Revolution 1920 Übersicht

Übersicht aller Postings zu Revolution und Konterrevolution vor hundert Jahren: Revolution in Deutschland 1918-23.

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