Revolution 1920, Teil V: Keine Arbeiterregierung, aber Rote Ruhr

March 20th, 2020

Am 20. März 1920 kehrt die Regierung Ebert aus Stuttgart nach Berlin zurück, bläst den Streik ab, ignoriert alle Pläne einer Arbeiterregierung und erfüllt außer der Auswechslung Noskes praktisch keine Forderung der Gewerkschaften. Gleichzeitig wird um Halle erbittert gekämpft und die Rote Ruhrarmee erobert innerhalb von Tagen das gesamte Ruhrgebiet.

Ausschnitt einer Karte zum Vorrücken der Roten Ruhrarmee zu sehen (ganz: http://bit.do/KarteRuhraufstand) ,
daneben der Verweis auf Radio Corax, das heute die geplante Veranstaltung zur “Schlacht um Halle” (https://www.facebook.com/events/130352611612763/) als Sondersendung im Mittagsmagazin bestreitet.

Die Vereinbarung der Regierung mit den Gewerkschaften beinhaltet nicht nur keine Arbeiterregierung, sondern auch keine sofortige Sozialisierung (nur wie vorher irgendwann Sozialisierungskommission) und auch keine Enteignung putschfreundlicher Grundbesitzer. Das ist für USPD und KPD , aber auch für viele SPDler (besonders im Ruhrgebiet) nicht akzeptabel, der Streik wird vielerorts fortgesetzt. Außer Reichswehrminister Noske muss auch Vizekanzler Schiffer nun gehen; schon für den Sommer werden, wie von den Putschisten gefordert, Neuwahlen angekündigt.

Nachdem die Reichswehr in den Tagen zuvor fast überall im Reich Truppen freisetzen konnte, sammelt sie diese nun zum Angriff aufs Ruhrgebiet. In vielen Städten hatten Führer der SPD, aber auch der USPD und KPD teilweise eigenmächtig nach Putschende entschieden, die Waffen niederzulegen und die Reichswehr abziehen zu lassen, so Lipinski (USPD) schon am 17. März in Leipzig, was aber den weiter kämpfenden Arbeitern erst zwei Tage später bekannt gemacht wird, als der zwischenzeitlich aufgehobene verschärfte Ausnahmezustand schon wieder ausgerufen ist. Die Siege verwandeln sich so durch Kapitulation der Führungen ohne Not in Niederlagen, die so hart erkämpfte Durchsetzungsgewalt für die Forderungen nach Auflösung der Reichswehr und nach Sozialisierung wird sinnlos aufgegeben, bevor sie durchgesetzt sind.

Außerhalb des Ruhrgebiets gibt es nach wie vor bewaffneten Widerstand, so im Vogtland und vor allem im Mitteldeutschen Industriegebiet, wo nun um Halle eine Schlacht entbrennt. Schon seit dem 15. waren am Stadtrand Tausende bewaffnete Arbeiter zusammengeströmt, die im Laufe der Woche nach Trotha, Kröllwitz, Glaucha und am Galgenberg vorstoßen können. Ab dem 19. März wird auch in der Innenstadt gekämpft, Barrikaden werden gebaut. Da die Reichswehr schwere Waffen wie Minenwerfer einsetzt, kommen auch Unbeteiligte ums Leben. Es gibt 27 Tote auf Seiten der Reichswehr, bei den Arbeitermilizen 300 – doch sie kontrollieren jetzt große Teile von Halle um Umgebung.

Der Vorstoß der Roten Ruhrarmee beendet unterdessen im Westen vorübergehend den Terror, der anderswo weitergeht oder nochmals eskaliert, wie durch in Thüringen einmarschierende Freikorps aus Marburg. Die drei Abteilungen der Roten Ruhrarmee, die jetzt von Hagen aus parteienübergreifend (USPD, KPD, SPD, DDP), bald auch von Essen aus geleitet wird und schon Zehntausende Kämpfer umfasst, überwiegend Bergleute und Arbeiter, vereidigt auf das “Programm der revolutionären Arbeiterschaft” und den Sozialismus, kontrollieren im Süden das Bergische Land, ziehen im Norden gegen das Reichswehrzentrum Münster und führen den Hauptstoß gegen Westen.

Essen hatte auf dem Weg nach Mülheim gelegen, wo die Rote Ruhrarmee das verhasste Freikorps Schulz angreifen wollte, die 1000 Mann Sipo, Polizei und Einwohnerwehr in Essen fühlten sich sicher, wussten nicht, dass aus Dortmund und Hagen herbeigeeilte Arbeitergruppen im Osten unmittelbar vor der Stadt standen. Bei ersten Kämpfen kommt es zu Gräueltaten von Polizisten, vor der Hauptpost gibt es Schüsse der Einwohnerwehr nach Feuereinstellung der Arbeiter, Arbeiter feuern und bringen zwei der drei ersten Sipos um, die sie aus der Post holen. Am Wasserturm, später lange Zeit Schulbeispiel für angeblichen “roten Terror”, wurde erst auf Parlamentäre der Arbeiter gefeuert, dann gab es Kämpfe mit Toten, bei denen 9 der 46 Besatzungsmitglieder getötet wurden. Später wurden dann alle Toten des Gefechts zu Opfern der “Roten” erklärt.

Am 19. März ist Essen in der Hand der Arbeiter, die Reichswehr räumt ihre Truppen. Danach fallen am 20. März die meisten Städte des Ruhrgebiets an die Rote Armee. Gietinger schreibt: “Doch weder wurde geplündert, vergewaltigt und getötet, wie es die Freikorps, die Reichswehr und die Regierung dem ‘Bolschewismus’ unterstellten, noch wurde der Kommunismus eingeführt. Nicht einmal die politische Macht wurde ganz ergriffen. Man hatte das Militär geschlagen, hatte eine Arbeiterarmee und kontrollierte die Verwaltung. Mehr wollten die meisten erstmal nicht.” Bis auf die Syndikalisten fordern nur vereinzelte Stimmen eine volle Machtübernahme durch die Räte, die “Sozialisierung von unten” ist jedoch populär.

Im stark syndikalistischen Hamborn (heute Teil von Duisburg und schon 1919 ein Zentrum der Massenstreiks) erobern Arbeiter ein Geschütz, mit dem ihre Häuser beschossen worden waren, dann wird auf die in Richtung der nördlich gelegenen Festung Wesel abziehenden Freikorpstruppen “andauernd aus Häusern und Kellerluken, von Dächern und Fabriken, von Halden und Bahndämmen, ja selbst aus Kessel-und Maschinenhäusern geschossen, so daß sie in viele kleine Teile zerriss […] und häufig Fahrzeuge und Pferde ungedeckt auf der Hauptstraße stehenlassen mussten”, erinnert sich ein Soldat. Die Arbeiter erbeuten Gewehre, über 100 Minenwerfer, Flammenwerfer, Teile des Wagenparks.

Die zweite Abteilung der Roten Ruhrarmee, die sich Richtung Münster bewegt, bringt das ganze Gebiet an der Lippe unter ihre Kontrolle, Stoßtrupps kommen bis 7 Kilometer vor Münster, wo zwar ebenfalls fast die ganze Woche Generalstreik gewesen war und der Aktionsausschuss (ergebnislos) die Absetzung des Generals Watter forderte, der sich “abwartend” gegenüber den Putschisten verhielt und sie so begünstigte, doch die Stadt blieb in der Hand des Militärs, verstärkt durch Freikorps und eine akademische “Wehr”, deren drittes Bataillon vom damaligen vom Theologiestudenten Martin Niemöller geführt wird. Freiwillige für die Freikorps werden in der Stadt geworben, an die Niederschlagung der frühkommunistischen Wiedertäufer in Münster während des Bauernkriegs 1525 wird erinnert, die Sage von der Schlacht am Birkenbaum zwischen den “Völkern” des Nordens und Südens in der Gegend von Werl aufgewärmt – während ebenda tatsächlich am 20. März württembergische Truppen (und am 21. März erste bayerische) eintreffen.

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Erich Mühsams Aneignung der Birkenbaum-Sage aus dem Juli 1915: “Glaubt nicht, die Schlacht am Birkenbaum sei nur ein Traum und eines Wahns Gebilde. Der schönste Sieg ist nicht mehr fern, da ohne Herrn Recht wird erstehn und Milde.” 

Übersichtsposting zum März/April 1920: Revolution 1920 Übersicht

Übersicht aller Postings zu Revolution und Konterrevolution vor hundert Jahren: Revolution in Deutschland 1918-23.

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