Revolution 1920, Teil IV: Putsch zuende, weiter Streik und Kämpfe

March 17th, 2020

Am 18. März 1920, einen Tag nach dem Abtritt erst von Kapp, dann von Lüttwitz (“Ich will dem Kampf gegen den Bolschewismus nicht im Wege stehen”) und damit dem Ende des Putsches, rufen der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB), die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände (AfA) und der Deutsche Beamtenbund in Berlin dazu auf, den Generalstreik bis zur Erfüllung ihrer Forderungen fortzusetzen: Rücktritt Noskes, Putschtruppen entwaffnen und auflösen, demokratische Armee schaffen, Mitwirkung der Gewerkschaften bei der Neuordnung der Verhältnisse – AfA zusätzlich: Übertragung des Sicherheitsdienstes an die organisierte Arbeitnehmerschaft. Das stimmt mit Forderungen republikanischer Offiziere vom RFDR überein.

Auch USPD und KPD wollen die Fortsetzung des Streiks, verlangen zusätzlich die Sozialisierung von Bergbau und Großindustrie, was sich auch in den Plänen des bislang eher “sozialpartnerschaftlich” orientierten Gewerkschaftsführers Legien (ADGB/SPD) findet. Der versucht, in Anerkennung der gerade offensichtlich gewordenen Mehrheiten, eine “Arbeiterregierung” aus SPD, USPD, KPD, den Gewerkschaften und Räten zu organisieren, was aber wegen der vorschnellen Ablehnung durch die USPD-Führung, die die Lage als viel zu günstig einschätzt, und schließlich wegen der Position der SPD-Regierungsvertreter gegen den Streik nicht zustande kommen wird.

Obwohl der Generalstreik vielerorts nur am Montag (15. März) voll befolgt worden war und etwa in Bayern und im Südwesten insgesamt nun vorbei ist, erreichen die Proteste und Kämpfe (fast immer einhergehend mit Streik) gerade in den industriellen Zentren, aber auch im ländlichen Mecklenburg, erst ihren Höhepunkt.

In Thüringen konzentriert sich das Kampfgeschehen um Gotha, den Gründungsort der USPD (und 1875 der direkten SPD-Vorläuferpartei SAPD). Ausgehend von Suhl und Zella-Mehlis, wo am Montag angreifende Reichswehr zur Kapitulation gebracht worden war und mehr als siebzig ihrer Soldaten einen Aufruf unterschrieben, ihre Kameraden sollen sich nicht weiter belügen lassen und die Waffen niederlegen, strömen Hunderte bewaffnete Arbeiter ins von Putschisten besetzte Gotha, erobern dort, vom Kampfstab in Petriroda koordiniert, fast alle strategischen Punkte. Putschisten locken durch Schwenken einer weißen Fahne etwa 30 Arbeiter in eine Falle, massakrieren sie mit Beilen, Spaten und Gewehrkolben, dann flüchten sie. 90 Tote der Kämpfe um Gotha werden auf Anweisung der Thüringer USPD-Regierung mit Landestrauer begraben. Die Landesregierung löst auch die Zeitfreiwilligenverbände auf und wirbt für den Eintritt in die Thüringer Volkswehrarmee unter August Creutzburg (USPD und Vorsitzender des Arbeiterrates der Waggonfabrik in Gotha), die bald 5000 Kämpfer zählt.

In Gera besetzten schon am Montag bewaffnete Arbeiter die Kaserne und alle anderen wichtigen Gebäude, nachdem die Putschisten (800 “Baltikumer”) in die Menge geschossen hatten – 14 Tote. Ein Aktionsausschuss fordert den Aufbau einer Roten Armee. Gietinger schreibt: “Die Glocken läuteten Sturm, Radfahrer jagten durch die Stadt, die Hörner der Arbeitersportler riefen die Bewaffneten zu den Sammelplätzen.” Aus Gera, Greiz, Weida, Werdau und Zeulenroda herbeigeeilte 2000 bewaffnete Arbeiter kesseln zwei aus Plauen anrückende Reichswehrbataillone ein, die kapitulieren müssen. In Weimar entwaffnen Volkswehren, nach tödlichen Schüssen der Putschisten, die Einwohnerwehren und Sipo, erzwingen am Freitag den Abzug der Reichswehr und Sipo aus der Stadt.

In Mecklenburg hatte der Generalstreik auch etwa zwei Drittel der Landarbeitskräfte erfasst. In den Städten hatten sich bereits am ersten Tag des Putsches Aktionsausschüsse gebildet, tags darauf ermordete die putschistische Reichswehrbrigade 9 unter dem Kolonialkriegsverbrecher Paul von Lettow-Vorbeck in Schwerin 14 Demonstrierende. In Rostock wurde das erste Arbeiterbataillon unter Karl Otto aufgestellt, bald waren 8000 Mann unter Waffen. Am 16. März umstellten etwa 700 Arbeiter auf dem heutigen Universitätsgelände etwa 600 in einer Kaserne verschanzte studentische Zeitfreiwillige und ein Reichswehrbataillon, das zur Unterstützung Bombenflugzeuge anfordert. Bei einem Ausbruchsversuch nun am 18. März gibt es einen Toten und mehrere Verletzte.

Das Baltikum-Freikorps Roßbach, 1000 Mann mit Artillerie, Panzerwagen, offiziell seit 28.1.1920 aufgelöst, beschießt die Stadt Waren mit Geschützen und MGs – 5 Tote. Arbeitskräfte aus Stadt und Land erheben sich, zwingen, wie in dem Dorf Gnoiden, die Großgrundbesitzer zur Herausgabe von Waffen oder heben Waffenlager der “Baltikumer” aus. Die Freikorpssoldaten gehen mit Terror vor: am 18. März werden Wilhelm Wittke und Johann Steinfurth, die als “Gutsrat” Landarbeiter organisierten, verhaftet und erschossen. Auch Franz Slomski, der in Dorf Mecklenburg den Generalstreik organisiert hatte, wird misshandelt und vor seiner Familie erschossen. Beim Angriff auf Wismar benutzen die Putschisten Geiseln als lebende Schutzschilde. Wismar, das wegen des besonders streng durchgeführten Streiks als “Hochburg der Kommunisten” gilt, wird am Freitag (19. März) erobert – 7 Tote.

Während sich in Magdeburg Arbeiter mit Soldaten verbrüdern, die Zeitfreiwilligen entwaffnen und die Offizieren verhaften, ist Halle zunächst durch 1500 Soldaten der Reichswehr und 3000 Bewaffnete der Einwohnerwehr und der Zeitfreiwilligen sowie Sipo besetzt, die Massenverhaftungen durchführen. Arbeiter des ganzen Mitteldeutschen Industriegebiets eilen in die Stadt. Ein Panzerzug und Panzerwagen, nach Eisleben zur Entwaffnung der Arbeiter geschickt, entgehen nur knapp der Einkesselung und werden nach Halle zurückgezogen. Am Freitag (19. März) kommt es zu einer regelrechten Schlacht, die Arbeiter dringen immer weiter in die Stadt vor und errichten Barrikaden.

Aus Kiel wird die Marinebrigade Loewenfeld am 18.3. vertrieben, aus Hamburg kann sich das Freikorps Sieveking mit 500 Mann nach Mecklenburg absetzen. In Harburg lässt Leutnant Berthold, Baltikumer mit Eiserner Schar aus Stade, in die Menge schießen, wird zur Kapitulation gezwungen, lässt erneut feuern, wird schließlich erschlagen. In Hannover, einer SPD-Hochburg, schießt das Freikorps Hindenburg aus Celle auf eine Demonstration vor dem Gewerkschaftshaus: elf Tote. Daraufhin kommt es zu vereinzelten Entwaffnungsaktionen, der Generalstreik wird bis Freitag fortgesetzt. Braunschweig beschäftigt Sipo, Zeifreiwillige und Einwohnerwehr mit Demonstrationen, es können keine Truppen für die Ruhr freigesetzt werden. In Kassel wird am 18. März in eine Demonstration vor dem Gebäude des Gruppenkommandos gefeuert, 17 Menschen liegen tot in ihrem Blut, 43 werden schwer verletzt. In Frankfurt/Main, wo Polizeireviere und die Sipo-Wache am Hauptbahnhof gestürmt worden waren, gelingt es nicht, die Gutleut-Kaserne im Gallus zu erobern – 14 Tote und über 150 Verletzte. In Nürnberg schießen Studenten aus Erlangen am 17. März in die Menge und verfolgen noch die Fliehenden – 23 Tote und 50 Schwerverletzte. In Hof, einer USPD-Hochburg, bewaffnen sich die Arbeiter, werden aber von Zeitfreiwilligen aus München wieder entwaffnet.

In Cottbus formierte sich als Reaktion auf ein Massaker eine 3000 Mann starke Rote Garde. Sie verwickelt die Putschisten in heftige Kämpfe, Cottbus fällt als Verkehrsknoten zwischen Berlin, Sachsen und Schlesien aus. Breslau ist ein Heerlager mit 10.000 Mann Freikorps, eine “präfaschistische Terrorherrschaft” (Gietinger): die SPD-Zeitung wird zensiert, ihre Druckmaschinen zerstört, es gibt mindestens sieben Tote bei wahllosen Schüssen in die Menge, weitere Morde, eine Verhaftungswelle gegen Arbeiter, die im Gefängnis mit Knüppeln, Handgranaten, Koppelriemen und Reitpeitschen traktiert und gefoltert werden.

Im Ruhrgebiet hatten sich bei der entstehenden Roten Ruhrarmee Kampfleitungen gebildet, Reichswehr-General Watter hatte befohlen das Bergische Land aufzugeben, sucht schließlich aber eine “Entscheidungsschlacht” bei Remscheid, das von etwa 20.000 Arbeitern gestürmt wird. Eliasberg schreibt: “In Remscheid wurde ein formidabler Gegner, keine einzelnen Kompanien oder Hundertschaften, systematisch eingekreist”. Die Putschisten fliehen nach Köln, werden dort von der englischen Besatzungsmacht interniert. Die Arbeiter haben es im Verlauf der Kämpfe mehrfach geschafft, den Gehorsam der Truppen zu brechen, sie haben schwere Waffen erbeutet und sich in die Position gebracht, insgesamt zur Offensive überzugehen und die Reichswehr aus dem ganzen Ruhrgebiet zu vertreiben. Um den 17./18. März, haben Militär und Sipo noch die Oberhand, verüben noch mehrere Massaker mit Dutzenden von Toten, doch dann erobert die Rote Ruhrarmee Wattenscheid, Gelsenkirchen und am 19. März Essen. (Dazu später noch mehr.)

Am Ende des Putsches war es den Militärs nur noch um eine Garantie der Straffreiheit gegangen, nun kommt die Regierung den Putschisten und der Reichswehr immer weiter entgegen und will sich mit ihnen gegen die Streikenden verbünden. Innenminister Koch-Weser sieht Deutschland “am Vorabend des Bolschewismus”. Vizekanzler Schiffer (DDP), der noch zehn Tage vorm Putsch in der Nationalversammlung den Einsatz von Giftgas gegen Aufständische verteidigt hatte, kündigt eine Amnestie fürs Militär, baldige Neuwahlen, Direktwahl des Reichspräsidenten und eine Regierungsumbildung an – “alles Kapp-Forderungen, die faktisch alle später umgesetzt wurden” (Gietinger).

Neuer Reichswehr-Chef wird Hans von Seeckt, der eben noch auf der Seite der Putschisten gestanden hatte. Er verhängt den verschärften Ausnahmezustand mit Standrecht für fast das gesamte Reichsgebiet. Gleich am 18. März hetzen Schiffer und Seeckt in einem gemeinsamen Aufruf im Namen der Reichsregierung Soldaten gegen die streikenden Arbeiter auf: “Der Generalstreik bricht zusammen … Lasst Euch nicht irremachen durch bolschewistische und spartakistische Lügen. Bleibt einig und stark. Macht Front gegen den alles vernichtenden Bolschewismus.”

In Berlin steht nach wie vor die Brigade Ehrhardt, die mit den Hakenkreuzen am Helm. Gietinger: “Mit Ausnahme von Potsdam war es der Konterrevolution nicht gelungen, die Umgebung Berlins unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Machtbereich von Lüttwitz’ und Ehrhardts Truppen endete schon an der Stadtgrenze.”

Barrikade quer über die damalige Tauchaer Straße (heute: Rosa-Luxemburg-Straße) am Listplatz in LEIPZIG, die von bewaffneten Arbeitern bewacht wird.
(Quelle: https://wortblende.wordpress.com/2018/11/21/treffpunkt-listplatz/)

Übersichtsposting zum März/April 1920: Revolution 1920 Übersicht

Übersicht aller Postings zu Revolution und Konterrevolution vor hundert Jahren: Revolution in Deutschland 1918-23.

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