TOTWACH – DAS AUFGERISSENE TOTENBUCH

December 11th, 2020

Menschen sind potentiell unsterblich in den Gedächtnissen der anderen Menschen, solange die sich an sie erinnern und die Erinnerung und hinterlassenen Spuren und Aufzeichnungen weitergeben. Viele sind schon vergessen, wenn sie sterben. Most of my heroes don’t appear on no stamps. Der meisten Toten wird nicht angemessen gedacht, der meisten Toten kann ich nicht angemessen gedenken, der Hungertoten, der sterbenden Kranken, der Toten ignorierter Konflikte. When it comes to the poor, no lives matter.

Den Toten ein Gesicht geben, einen Anfang der Sichtbarkeit machen, wenn wir sie gerade als Gesellschaft umbringen. Wenn wir ihre Markierung als überflüssig, minderwertig zulassen. Sie nicht gegeneinander ausspielen: die von den zusammengespahnten Gesundheitsbudgets Umgebrachten, die von der Polizeigesellschaft Umgebrachten, die von der Männlichkeitsgesellschaft Umgebrachten, die von der Rassismusgesellschaft Umgebrachten, die immer noch vom Nationalsozialismus Umgebrachten. Das machen alles Menschen durch Menschen mit Menschen.

In dieser kommunistischen Vorstellung gibt es etwas, was über den einzelnen Menschen hinausgeht, die Gattung, die Menschheit. Das, was ich tue, geht auf den ideellen Gesamthaufen der Menschheit. Das bedeutet, dass die Toten alle noch leben, dass sie alle noch sprechen, dass sie alle noch handeln, dass Geschichte das ist, wodurch sie das tun, und dass Religion wiederum das ist, wodurch wir damit Verbindung aufzunehmen versuchen. Dann ist das hier Religion.

Den Toten ein Gesicht geben, einen Anfang der Sichtbarkeit machen, wenn wir sie gerade als Gesellschaft umbringen.

Ceremonial Burial, trying to make it appear as if the death of these people wasn’t in vain, as if they gave their lives for something good. Trying to give their death some kind of reason, some kind of meaning, some kind of purpose, even if there isn’t, even if their death just means that the others managed to kill them. Nobody actually asked them to die, they were thrown into battle, and before they knew they were dead.

In one respect this is wrong. We don’t really mourn the dead, we glorify them, we use them for our purposes, we try to make them march. Historical legitimization as a parade of zombies. These people aren’t here anymore, they are dead. The way it’s presented here it isn’t scary though. One of the main religious aspects about communism is that it’s a way to deal with death. It makes dying, or having lived for something, meaningful. You won’t be lost, you’ll still be there. Not because of spiritual reasons but because the traces you leave behind, the things you produced, the battles you fought, the stances you took.

Den Toten ein Gesicht geben, einen Anfang der Sichtbarkeit machen, wenn wir sie gerade als Gesellschaft umbringen.

Wir haben gesagt, dass sich im Astrallicht die Bilder der Menschen und Dinge erhalten. Instead of a tunnel and angels, East Indians may describe the River Ganges and a particular guru. Da sind wir aber immer noch, und der Staat ist noch da, den Arbeiter erbauen. A child having a “Near Death Experience” may “see” his or her still-living friends and teachers, or Nintendo and comic book characters, rather than God. Das Land, es lebt, es lebe hoch, weil Arbeiter sich trauen. Some near-death experiences may be a re-activation of birth memories or an actual re-experiencing of parts of the process in symbolic form. In diesem selben Lichte kann man die Gestalten jener beschwören, die nicht mehr in unserer Welt leben. Thus racing through tunnels towards the light may be a memory or symbolic re-experience of being born: a memory of “the near-birth experience.” Die Kabbalisten, die von der Geisterwelt erzählten, haben einfach das wiedergegeben, was sie bei ihren Beschwörungen sahen.

Hab keine Angst: Das sind die Geister der Toten, Manolito. My memory is a museum of dead people. Ich kenne euch nicht, wann seid ihr gestorben? Der Tod der Pioniere und der Tod der Vergessenen. Einmal im Jahr kehren die Geister der Toten zu ihren Familien zurück. Steige, Ikarus, fliege uns voraus. Und dann feiern wir mit ihnen. Viele folgten ihm, darum ist sein Tod ein Sieg. Liebe Geister, probiert doch unser Pan de Muerto! Wenn ein Mensch lange Zeit lebt, sagt die Welt, es ist Zeit. Das Universum ist Wandel, jeder Wandel ist das Ergebnis eines Aktes der Liebe, doch eine solche Deutung ist trügerisch. Alt wie ein Baum möchte ich werden.

Den Toten ein Gesicht geben, einen Anfang der Sichtbarkeit machen, wenn wir sie gerade als Gesellschaft umbringen.

Es gibt eine Romantisierung eines ehrwürdigen Todes, durch den Alte und Kranke ihren Mitmenschen nicht mehr zur Last fallen, was die Alten und Kranken oft stark internalisiert haben. Wenn eine Zelle nicht mehr gebraucht wird, stirbt sie, und zwar auf eine Art, die man nur als äußerst würdig bezeichnen kann. Sie baut alle Streben und Stützen ab, die sie zusammenhalten, und löst ihre Bestandteile in aller Stille auf – ein Vorgang, den man als programmierten Zelltod oder Apoptose bezeichnet. Jeden Tag opfern sich viele Milliarden Zellen zum Nutzen des Gesamtorganismus, und Milliarden weitere beseitigen den Abfall. Menschen sind keine Zellen, sie bestehen aus ihnen. Parallele ist nicht Identität.

Zellen können auch eines gewaltsamen Todes sterben – beispielsweise, wenn sie mit Krankheitserregern infiziert sind -, aber meist gehen sie zugrunde, weil sie den Befehl dazu erhalten. Sie töten sich sogar selbst, wenn sie nicht zum Weiterleben aufgefordert werden – wenn sie nicht irgendeine aktive Anweisung von einer anderen Zelle erhalten. Zellen brauchen viel Bestätigung. The tourists are all trying to take a picture, like thieves, then they go again. They check carefully if the machine has properly recorded it, then they go. Once they have the proof for having been here they take off. Pictures with themselves on them and the dead. Hast du mich gut drauf? Ich neben den ganzen Toten?

Den Toten ein Gesicht geben, einen Anfang der Sichtbarkeit machen, wenn wir sie gerade als Gesellschaft umbringen.

Sich im Angesicht des Todes der anderen selbst jung und frisch und gesund und nützlich und verwertbar fühlen, don’t stop me now, I’m having such a good time. Now I reach the point where I’m the desecrator. I cannot have this kind of trip here. Doch noch ein Wörtchen an dich, Tod. Du hältst dich ja vielleicht für unangreifbar, weil so viele blöderweise glauben, du wärst erst der Anfang, der Eingang zu einem besseren Ort usw. Aber ich sag dir was: Ich für meinen Teil kann dich nicht leiden, deine Fresse gefällt mir nicht. Warum sind sie alle tot, wozu soll das gut sein?

Und dein Stündchen wird schlagen, Tod. Je mehr Leute dieses Leben und diese Welt wirklich wollen und beides endlich angemessen einrichten, desto weniger werden sie sich einreden lassen, Gutes müßte knapp sein, gute Zeiten kurz und das Glück, wie Freud es ausdrückte, episodisch. Warum denn aufhören, wenn’s am schönsten ist? Warum auch nur dann aufhören, wenn es noch schön werden könnte?

Schon bis jetzt haben die Menschen dir – trotz all jener, die das Leiden verherrlichen und aufs Jenseits vertrösten, trotz jener, die die Stecker rausziehen wollen und die Öfen befeuern, trotz jener, für die Menschen zum Opfern und Verheizen da sind – beträchtliche Lebenszeit abgerungen, von der sie hoffentlich mehr darauf verwenden, dich in den letzten Winkel zu treiben und dich zu bannen. Geh sterben, Tod!

Den Toten ein Gesicht geben, einen Anfang der Sichtbarkeit machen, wenn wir sie gerade als Gesellschaft umbringen.

Vergesst die Toten nicht, kämpft für alle Lebenden!


(gemischt im Studio O2, Museumsquartier Wien, 11.12.2020 – enthält Samples aus den Büchern “Eine kurze Geschichte von fast allem” von Bill Bryson, “Ketamine” von Karl Jansen und “Dogma und Ritual der hohen Magie” von Eliphas Levi, der Ausgabe 43 des “mosaik – die unglaublichen Abenteuer von Anna, Bella & Caramella”, aus dem Film “Shaun of the dead”, aus Nachrufen auf Bekannte und Tripdikaten aus dem Treptower Park, aus einer Kurzanleitung zum Crowley Tarot sowie aus den Songs “Fight The Power” von Public Enemy, “No Lives Matter” von Body Count, “Da sind wir aber immer noch” vom Oktoberclub, “Museum of dead people” von Clastah, “Wenn ein Mensch lebt”, “Ikarus” und “Alt wie ein Baum” von den Puhdys.)

Alle Mixe, ein paar frühere und das Projekt: ►Artist-in-Residence @ Museumsquartier Wien

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