WORTE ZUM SONNTAG: EKEL, GRIPPE, ALLMACHT

December 12th, 2020

VORWEIHNACHTS-GENERALSTREIK-REMIX

Wir lesen,

daß das Ding einen Heringsgeruch und einen Petroleumsgeschmack habe und dadurch imstande sei, Ekel zu erregen. Am nächsten Tag wurde Katharina durch die Grippe mit Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen niedergeworfen. Ich gehe mit traumwandlerischer Sicherheit den Weg, den mich die Vorsehung gehen heißt. Wir deutschen Hausfrauen wissen aber Bescheid und wir hoffen, daß sich diese Eigentümlichkeiten beim Kochen vollständig verlieren werden, ja, wir sind überzeugt, daß die Mineralnährhefe den Speisen einen feinen Wohlgeschmack verleiht.

Am Tag darauf erwischte es Ernst, Mizzi und Gudrun. Wenn aber diese Allmacht ein Werk segnet, so wie sie unseres gesegnet hat, dann können Menschen es auch nicht mehr zerstören. Ist das Mittachbrot vorbei, so kommt wieder die Sorge um’s Amdbrot. Franzi und Jakob waren die Einzigen in der Wohnung, die noch gesund waren.

Wenn ich auf die 5 Jahre, die hinter uns liegen, zurückblicke, dann darf ich doch sagen: das ist nicht Menschenwerk allein gewesen. Zum Amdbrot gibts heut wie immer Eintopfgericht, zur Abwechslung aber Leberwurst aus Stärkekleister und rotgefärbtem Gemüse und als Käseersatz Berliner Quark mit Paprikaersatz, auch erproben wir heute das vielgerühmte Alldarin mit Eiersatz Dottofix aus Schlemmkreide mit Backpulver und etwas Salatfix, ein köstlicher Zusatz, den ich dem Salatin wie dem Salatol vorziehe.

Besonders schlimm traf es Mizzi, sie hustete Blut und lief blau an. Wenn uns nicht die Vorsehung geleitet hätte, würde ich diese schwindelnden Wege oft nicht gefunden haben. Denn für den deutschen Familientisch ist das Beste gerade gut genug und es ist alles da, nich so wie bei arme Leute.

Im heiligen Namen Gottes, unseres himmlischen Vaters und Herrn, um des gesegneten Blutes Jesu willen, welches der Preis der menschlichen Erlösung gewesen, beschwören wir Euch, die Ihr von der göttlichen Vorsehung zur Regierung der kriegführenden Nationen bestellt seid, diesem fürchterlichen Morden, das nunmehr seit einem Jahre Europa entehrt, endlich ein Ziel zu setzen. Die Reden wurden von wilden Zwischenrufen wie “Hoch die Revolution!” und “Generalstreik” übertönt. Der Kaiser ist ein leeres Symbol, da hast du schon recht. Die schönsten Gegenden Europas, dieses Gartens der Welt, sind mit Leichen und Ruinen besät. Die Nervosität der Demonstranten wurde durch ein übermäßiges Aufgebot von Polizei und Militär verstärkt. Aber es geht um die proletarische Macht und die Organisierung als Werkzeug der proletarischen Macht.

Das wiederholen wir jetzt solange, bis es alle begriffen haben.

Die Fülle der Reichtümer, mit denen Gott der Schöpfer die Euch unterstellten Länder ausgestattet hat, erlauben Euch gewiß die Fortsetzung des Kampfes. Aber um was für einen Preis? Darauf mögen die Tausende Menschenleben antworten, die alltäglich auf den Schlachtfeldern und in den Krankenstationen erlöschen. Nach Ende der Demonstration setzte sich die Menge in großen Gruppen in Richtung der Vorstädte in Bewegung. Wen interessiert denn noch der Kaiser? Die Parteifunktionäre versuchten verzweifelt, Ausschreitungen zu verhindern, auch in der Sorge, daß ein Exzeß die anfänglichen Sympathien für die Demonstration schwinden lassen würde. Aber die Aktion ist sicher sehr populär: die Arbeit niederlegen, die Infektionsketten endlich richtig unterbrechen. Sogar die Arbeiterführer konnten die wütende Menge diesmal nicht beruhigen. Das Proletariat hasst den Kaiser.

Das wiederholen wir jetzt solange, bis es alle begriffen haben.


(Wien, Studio O2, zum Internationalen Tag der Staatsgewalt, 13.12.2020, eine Kreis-Mischung/Merry-go-round aus drei Quellen: “Die letzten Tage der Menschheit” von Karl Kraus, “Herbst 1918” von Robert Foltin und “Hitlers Wien” von Brigitte Hamann, behutsam aktualisiert)

Alle Mixe, ein paar frühere und das Projekt: ►Artist-in-Residence @ Museumsquartier Wien

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