Märzkämpfe 1921, Teil I – 20. Februar: Kommunistischer Wahlerfolg in Mitteldeutschland
February 20th, 2021Am 20. Februar 1921 votieren 29,8 Prozent der Wahlberechtigten (197 113 Stimmen) im Wahlkreis Merseburg, der in etwa das Mitteldeutsche Industrie- und Bergbaugebiet Halle-Leuna-Mansfeld umfasst, für die Vereinigte Kommunistische Partei (VKPD), die damit stärkste Partei des Wahlkreises wird und 5 seiner 15 Abgeordneten in den Preußischen Landtag entsendet. VKPD ist die Zusatzbezeichnung der KPD seit dem Zusammenschluss mit etwa der Hälfte der USPD im Dezember 1920, der ihre Mitgliederzahl auf den höchsten Stand bis 1945 vervielfacht (mehr als 400 000), sie sofort zur zahlenmäßig größten Partei nicht nur in Mitteldeutschland, sondern auch vielerorts im Ruhrgebiet und anderen Industrieregionen werden lässt, sie zu einer der ersten kommunistischen Massenparteien außerhalb Sowjetrusslands macht und den Schwerpunkt der Kommunistischen Internationale (Komintern) weiter nach Mittel- und Westeuropa verschiebt.
Trotz ihrer prinzipiellen Einbindung in die Komintern verfolgt die Partei zu diesem Zeitpunkt eine zum Teil stark von der Avantgarde-Linie der Bolschewiki abweichende Einheitsfront-Politik, die Bündnisse und gemeinsame Aktionen mit Gewerkschaften und den anderen Arbeiterparteien, vor allem deren Basis, anstrebt um die Mehrheit der Arbeitskräfte für eine sozialistische Rätedemokratie zu gewinnen, die nicht nur ihrer Einschätzung nach im März 1920 zum Greifen nahe gewesen war.
Mit einem Offenen Brief hatte sich die Parteizentrale Anfang Januar 1921 in diesem Sinne an die Gewerkschafts-Dachverbände ADGB und AfA, die kommunistische AAU und die syndikalistische FAUD sowie an die SPD, die USPD und die KPD-Abspaltung KAPD gewendet um gemeinsame Lohnkämpfe und Forderungen (Rentenerhöhung, Beschlagnahmung leerstehender Wohnhäuser, Wiederingangsetzung stillgelegter Betriebe und Bereitstellung von Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen durch Betriebs-, Bauern und Arbeitslosenräte, Amnestie für politische Gefangene und Aufhebung der Streikverbote, Entwaffnung konterrevolutionärer und Bildung eigener Kampfverbände) vorzuschlagen.
Im Mitteldeutschen Gebiet – seit Jahrhunderten Bergbauregion, aber erst spät industrialisiert und daher ohne die andernorts typische lange Gewerkschaftstradition, seit 1918 USPD-Hochburg – war es nach den hier besonders heftigen Kämpfen gegen Putsch- und Regierungstruppen im März 1920 trotz Belagerungszustand immer wieder zu Streiks, Sabotage und kleineren Unruhen gekommen, Waffen waren versteckt und klandestine Strukturen gebildet worden. Der vielfach gerade erst proletarisierten Landbevölkerung fehlt es an Essen und Brennholz, die Wohnverhältnisse sind katastrophal, die zahlreichen Wanderarbeitskräfte leben in Barackenlagern.
Am 3. Februar streiken die Bergleute in den Kupfergruben des Mansfeld-Konzerns gegen den Einsatz des im Januar aus ehemaligen Offizieren und Unteroffizieren gebildeten Werksicherheitsdiensts, der sie daran hindern soll, nicht mehr verwendetes Stempelholz mit nach Hause zu nehmen. Sie fordern “die Auflösung dieser Werkpolizei und dafür die Einbeziehung von Kriegs- und Arbeitsinvaliden in den Werkschutz” (Weber 1991:31). Wenige Tage später kommt es im Leuna-Werk, wo trotz 56-Stunden-Woche die Not drückt, zu einem ähnlichen Konflikt um Abfallholz, der zur Absetzung der Betriebsräte und Bildung eines kommunistischen Aktionsausschusses führt. Die Schutzpolizei (Schupo), Ersatz für die nach französischen Protesten aufgelöste paramilitärische Sicherheitspolizei (Sipo), marschiert in Naumburg und Bad Kösen ein, wo sie die “Drahtzieher” dieser Ereignisse vermutet, und verhaftet mehrere VKPD-Mitglieder.
In diesem Moment sieht es so aus, als würden sich aus den Unzufriedenheiten in Mitteldeutschland, im Ruhrgebiet (wo statt der seit 1918 geforderten 6-Stunden-Schicht immer noch Überschichten geschoben werden müssen), in Hamburg (in den Werften und unter den immer zahlreicheren Erwerbslosen) sowie aus den erwarteten Großkrisen durch die enormen alliierten Reparationsforderungen und den womöglich kriegerischen Konflikt mit Polen um Oberschlesien im Laufe des Frühjahrs neue Streiks und Kämpfe entwickeln, die wiederum zum Ausgangspunkt eines weiteren Anlaufs zur Vollendung der Revolution werden könnten.
Wieso enden die Märzkämpfe dann in einer veritablen Katastrophe nicht nur für die (V)KPD, die über die Hälfte ihrer Mitglieder sogleich wieder verliert, sondern für die Revolution insgesamt, auch über Deutschland hinaus? Schon im nächsten Posting werden wir einem entscheidenden Faktor begegnen, wenn kurz nach dem Wahlerfolg, am 24. Februar, die Parteivorsitzenden der (V)KPD ihre Ämter niederlegen.
Literatur:
Stefan Weber: “Ein kommunistischer Putsch? Märzaktion 1921 in Mitteldeutschland” (Dietz Berlin 1991)
Sigrid Koch-Baumgarten: “Die Märzaktion der KPD 1921” (Köln 1987)
Übersicht über die bisherigen Postings zur Revolution in Deutschland 1918-23
March 1st, 2021 at 01:06
[…] Aktion in Eisleben starten und von dort aus nach und nach die Region durchkämmen. Nach dem Wahlerfolg der VKPD im Februar beschließt am 28. Februar eine Konferenz in Magdeburg stattdessen für den 19. März eine […]
March 23rd, 2021 at 01:33
[…] die Forderung nach Einstellung von Erwerbslosen und Umsetzung des “Offenen Briefs” (siehe Teil I) sowie am Nachmittag eine Kundgebung von 15-20.000 Menschen um das Heiligengeistfeld […]