Richard Dawkins – Der Gotteswahn (2)

April 16th, 2009

Im ersten Posting ging es vor allem um Dawkins’ Lagerdenken, mit dem er an Atheisten, Agnostiker und religiös Gläubige herantritt und das leider keine Spezialität von Dawkins darstellt.

Im Anti Defamation Forum wurde meine Kritik an diesem Lagerdenken z.B. (ironisch) als sündhaft bezeichnet und mit dem bloßen Verweis aufs Entweder-Oder verworfen:

Entweder kann die Welt durch Verfahren wie Beobachtung, Beweis, Falsifizierung und Ockhams Messer kritisch-dynamisch wahrgenommen werden oder man gibt aus Respekt vor den Offenbarungen mancher die Vernunft preis.

Insofern dürfte es passen, daß ich mir nun Dawkins’ Wissenschaftsgläubigkeit und sein vielfaches Verkennen der Religion vornehme, denn diese Themen berühren wiederum die Frage nach der Notwendigkeit, sich einem Lager zuzuschlagen. In der gleichen Weise, in der er bösartige Gläubige und unschuldige Atheisten gegenüberstellt, zeichnet er auch ein Bild ihrer jeweiligen Systeme, der absurden Religion und der wunderbaren Wissenschaft. Der Unterschied besteht zunächst darin, daß es nunmehr kein Drittes gibt, daß also die Agnostiker nicht mehr vorkommen, da sie ja keinem Lager zugeschlagen und keinem System zugeordnet werden können. (Sie würden ja auch den Atheisten den Vertretungsanspruch für die Wissenschaft streitig machen…)

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In gewisser Weise erinnert mich das daran, wie Moslems ihren Glauben zu vertreten pflegen: sie gehen davon aus, es mit einem Christen zu tun zu haben und haben dafür lauter prächtig geschmiedete argumentative Waffen zur Verfügung, auch auf andere religiös Gläubige können sie zum Teil eingehen, treffen sie jedoch auf einen Ungläubigen, paßt der einfach nicht ins Konzept.

Gegen den Unglauben

Wenn also Dawkins es zu einer Art Glaubensfrage macht, ob man sich zu Intelligent Design oder Natural Selection bekennt, die dann wiederum klar zum jeweiligen weltanschaulichen System gehören, kommt eine Position, die zum Beispiel bezugnehmend auf Velikovsky den Einfluß von Katastrophen auf die Erdentwicklung diskutieren will, ohne deshalb an der Schöpfungsgeschichte kleben zu bleiben, gar nicht vor. (Oder wird etwa so in “sein” Lager gedrückt: Wer von Katastrophen spricht, muß Kreationist sein, ob ihm das bewußt ist oder nicht, alle, die dem wissenschaftlichen Lager angehören, müssen von einer allmählichen Entwicklung ohne größere Sprünge ausgehen.) Nur mal als Beispiel.

Bei Dawkins in bezug auf die Wissenschaft von einem Glaubenssystem zu sprechen, ist keineswegs eine Unterstellung oder auch nur schwer zu belegen. Er schreibt:

Hinter der Theorie des “Intelligent Design” steht eine bequeme, defätistische Denkweise – es ist die klassische Vorstellung vom “Gott der Lücken”. Ich selbst habe sie früher einmal als Argument des persönlichen Unglaubens[!] bezeichnet.

Die Einstellung, in wissenschaftlichen Erklärungen Lücken zu finden und darauf skeptische Einwände zu gründen, gilt Dawkins also als Ausdruck von Unglauben. Das paßt, versucht er doch umgedreht auch, sich durch das Auffinden von Lücken im religiösen System als Ungläubiger zu positionieren. Viel Energie und manche Buchseite verwendet er etwa darauf, erzählerische Inkonsistenzen in der Bibel nachzuweisen. Doch dazu später mehr.

Zu Beginn hatte ich erwähnt, daß Douglas Adams sich als Anhänger von Dawkins bezeichnet hat und daß das eigentlich für Dawkins sprechen müßte. Das sieht sofort anders aus, wenn man liest, wie Adams seine Konversion vom Agnostiker zum Dawkinianer beschreibt – im “Gotteswahn” in voller Länge wiedergegeben:

Ich grübelte und grübelte und grübelte. Aber ich hatte genügend Stoff, um weiterzugrübeln, und kam so zu keiner Lösung. Ich hatte größte Zweifel daran, dass ein Gott existiert, wusste aber einfach nicht genug, um ein anderes gut funktionierendes Erklärungsmodell für, nun ja, das Leben, das Universum und den ganzen Rest an seine Stelle zu setzen [!]. Trotzdem blieb ich am Ball und las und grübelte weiter. Irgendwann, etwa mit Anfang dreißig, stieß ich zufällig auf die Evolutionsbiologie, vor allem in Gestalt von Richard Dawkins’ Büchern The Selfish Gene und später The Blind Watchmaker, und plötzlich (ich glaube, bei der zweiten Lektüre von The Selfish Gene) fügte sich eins ins andere [!]. Es war ein ganz erstaunlich einfaches Konzept, aber es ließ ganz unverkrampft Raum für die unendliche und verwirrende Komplexität des Lebens. Neben der Ehrfurcht, die das in mir auslöste, erschien mir die Ehrfurcht, über die Leute im Hinblick auf religiöse Erfahrung reden, ehrlich gesagt albern. Ich würde die Ehrfurcht des Verstehens jederzeit über die Ehrfurcht der Ignoranz stellen.

Spooky, isn’t it? Hier funktioniert Wissenschaft offen als alternatives Sinnstiftungsangebot, das die vom religiösen Glaubensverlust gerissene Lücke zu füllen vermag. (Wie hieß das bei Bad Religion?: “So you say you gotta know why the world goes around and you can’t find the truth in the things you’ve found/ and you’re scared shitless cuz evil abounds/ come join us!”) Statt die wissenschaftliche Methode als Prinzip des Zweifels, als Lust an der Ungewißheit, am Überprüfen und Verwerfen zu fassen, wird ihr in einem Atemzug mit dem Bestehen auf der Überprüfbarkeit und Korrigierbarkeit eine umfassende Erklärungskraft zugeschrieben, die Fähigkeit, eine vollständige, harmonische Weltanschauung zu liefern.

Diesen Spagat begründet Dawkins ziemlich dreist damit, daß das alle anderen auch so machen – die Agnostiker gibt’s also gar nicht mehr: “Vielleicht sind Wissenschaftler fundamentalistisch, wenn es darum geht, die Bedeutung von ‘Wahrheit’ auf irgendeine abstrakte Weise zu definieren. Aber das gilt auch für alle [!] anderen Menschen.” Dann ist ja gut. Dawkins fährt fort:

Wenn ich sage, die Evolution sei wahr, bin ich nicht fundamentalistischer, als wenn ich behaupte, dass Neuseeland auf der Südhalbkugel der Erde liegt. Wir glauben an die Evolution, weil die Belege dafür sprechen, und wir würden sie von heute auf morgen aufgeben, wenn sie durch neue Belege widerlegt würde. So etwas würde kein echter Fundamentalist sagen.

Die Möglichkeit zur Korrektur falscher Theorien trägt Dawkins wie einen Popanz vor sich her. Er berichtet, wie sich ein Wissenschaftler einmal für eine Korrektur bedankt hätte (und fügt sogar selbst hinzu: “In der Praxis würden nicht alle Wissenschaftler so reagieren.”) Den Vorgang der Korrektur stellt er sich anders als z.B. Thomas Kuhn so vor: “Wenn ein wissenschaftliches Buch unrecht hat, findet irgendwann jemand den Fehler, und in nachfolgenden Büchern wird er korrigiert.”

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Letztlich will er betonen, daß das bei den anderen, bei den Religiösen nicht so sei. Er übersieht, daß es auch in der Welt des Glaubens Korrekturen gibt, Anpassungen und Neuauslegungen, die nur anders funktionieren als in der Wissenschaft. Wie sonst wäre es zur Reformation gekommen, wie zu den zahllosen Schismen, Schulen und vor allem: wie zu immer neuen Religionen und Glaubenssystemen?

Der Punkt an der Religion

“Wir alle glauben in unserem Leben an Belege”, schreibt Dawkins in einer Abwandlung seines Wahrheits-Arguments und klammert damit nicht nur abermals die Existenz von Agnostikern aus, sondern schießt m.E. auch am Wesen der Religion vorbei. Dawkins möchte die Frage nach der Berechtigung der Religion auf die Frage nach der Existenz Gottes runterbrechen und erklärt diese Frage zu einer wissenschaftlichen: “…die Existenz Gottes [ist] eine wissenschaftliche Hypothese (…) wie jede andere. Gottes Existenz oder Nichtexistenz ist eine wissenschaftliche Erkenntnis über das Universum, die man zumindest im Prinzip gewinnen kann, auch wenn es in der Praxis nicht möglich ist.”

Er erkennt das Religiöse in seinem eigenen System nicht und legt an die Religion seinen Maßstab der Belegbarkeit an. “Es hat seinen Grund, dass man es Glauben nennt”, zitiert er eine Standard-Entgegnung auf seine Kritik, und man wünschte sich, er würde sie nicht nur abtun.

Es erscheint mir als unsinnig, einem Gedankengebäude, das sich auf dem Unerklärbaren, ja geradezu auf der Unerklärbarkeit erhebt, damit begegnen zu wollen, daß es dem wissenschaftlich Erklärbaren widerspricht. Das ist gerade der Punkt! Es mag viele Gläubige geben, die ihre Glaubensgegenstände mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang zu bringen versuchen, im Kern glauben sie jedoch an göttliche Wunder und Übernatürliches, also an Sachen, deren wesentliches Merkmal es ist, daß sie der Wissenschaft widersprechen.

Wenn man zur Geschichte der Wiederauferstehung sagt, das ginge ja gar nicht, dann bestätigt man damit nur das Wunderbare. Nichts anderes. Sabine Rückert schreibt in der “Zeit” von der Auferstehungsgeschichte als “Zumutung”, an die sie aber dennoch glaubt: “Das Christentum ist keine Religion der Gesetzlichkeit, sondern proklamiert deren Überwindung, so begreife ich es. Der Christ ist frei. Alles ist ihm möglich. Alles ist zu schaffen. Yes, we can! Christen können übers Wasser gehen, Stürme stillen, den Teufel besiegen. Bei ihnen weicht die Physik der Metaphysik. Und genau das illustrieren die Wundergeschichten: Die Naturwissenschaft mag die Gesetzmäßigkeit des Machbaren bestimmen, das biblische Denken hält sich nicht dran.” Dieser Haltung ist mit dem Verweis auf die Naturgesetze nicht beizukommen.

Doch in einem fort stellt Dawkins solche Fragen: “Warum sollte ein göttliches Wesen, in dessen Geist es um Schöpfung und Ewigkeit geht, sich auch nur einen Pfifferling um die kleinlichen Fehltritte der Menschen kümmern?” Oder bemerkt: “Nun sollte man meinen, dass ein allmächtiger Gott die Sünder ein ganz klein wenig gezielter ausradieren könnte, beispielsweise mit einem wohlüberlegten Herzinfarkt, statt eine ganze Stadt zu zerstören, nur weil sie zufällig eine lesbische Komikerin beherbergt.” Und vielleicht am bemerkenswertesten: “Wenn Gott unsere Sünden vergeben will, warum vergibt er sie nicht einfach, ohne sich selbst dafür foltern und hinrichten zu lassen… ?” Vielleicht, damit es jemand mitbekommt? (Was ja dann auch geklappt haben dürfte…)

Seht ihr nicht die Lücke in eurem eigenen?

Dawkins macht mit der Bibel, was er den Kreationisten vorwirft: er sucht nach Lücken. Er fragt nicht, was sie von anderen Erzählungen oder Dokumenten ihrer Zeit unterscheidet, sondern hängt sich an all dem auf, was sie gewöhnlich macht. So meint er – in schlichter Ignoranz gegenüber die Problematik historischer Quellen – die “chaotische Entstehungsgeschichte heiliger Texte” gegen diese in Stellung bringen zu können. Wiederkehrende Ähnlichkeiten in diesen Texten hält er völlig korrekterweise für “ein Anzeichen für die Unzuverlässigkeit der Texte”, ohne daß ihm klar wäre, daß das nicht nur für religiöse Quellen gilt. Dawkins fragt: “Warum um alles in der Welt hätten die Römer von Joseph verlangen sollen, dass er sich in die Stadt begab, wo fast ein Jahrtausend zuvor einer seiner entfernten Vorfahren gelebt hatte?” Ist hier der Umstand, daß Dawkins diese Frage nicht beantworten kann, ein Argument gegen die Historizität?

Anyway, der Religion vorzuwerfen, sie würde ihre “Wahrheit nicht aus Belegen (…), sondern aus der Schrift” beziehen, ist als Kritik ungefähr so tauglich wie zu sagen, von Drogen würde man draufkommen: Wer das vorhat, wird genau das für das Feature halten und nicht für einen Bug. Für ähnlich abgeschmackt halte ich Dawkins’ Versuche, Religionen über ihren Überlegenheitsanspruch ad absurdum zu führen: sie könnten ja schlechterdings alle damit Recht haben, die einzige Wahrheit zu repräsentieren. Würde dieses Argument stechen, wäre die Kritik am Nationalismus und am Rassismus ein Kinderspiel. Wie Wilson so treffend feststellte, sind die meisten Menschen ohne weiteres bereit, diese Überlegenheit bei allen anderen als alberne Anmaßung zu erkennen, nur nicht bei sich selbst und ihrer eigenen Weltanschauung.

Dawkins empört sich darüber, daß gläubige Christen ihre Kinder im Glauben an die Hölle großziehen. Er wirft ihnen also vor, ihren Überzeugungen entsprechend zu leben. Diese Überzeugungen haben aber Gründe, die sich nicht einfach durch atheistische Agitation aus der Welt schaffen lassen. Atheismus mag für Dawkins funktionieren, aber das ändert nichts an den Gründen, aus denen es Religion gibt und aus denen sein Atheismus u.a. so aussieht, wie er aussieht: ganz schön religiös nämlich und ziemlich verständnislos gegenüber dem, was er ablehnt.

Michael Shermer wird von Dawkins mit den Worten zitiert: “Was kann erschütternder sein, als durch ein 2,5-Meter-Teleskop auf eine weit entfernte Galaxie zu blicken (…) Das ist tiefgründige, heilige Wissenschaft.” Wenn das das Projekt des Neuen Atheismus ist, einfach wie die Freidenker das religiöse Ergriffensein durch ein wissenschaftliches Ergriffensein zu ersetzen, wird er am zugrundeliegenden Problem, der unerschöpflichen menschlichen Glaubensbereitschaft, kaum etwas ändern.

Carl Sagan meinte, es hätte “nicht viel Sinn, zum Gravitationsgesetz zu beten.” Vielleicht hat die atheistische Gemeinde aber Glück: Quantenprozesse könnten sich ja anbeten lassen, oder nicht?

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  • 20 Responses to “Richard Dawkins – Der Gotteswahn (2)”

    1. Herb Says:

      Irgendwie erinnert mich Dein Duktus sehr an Dawkins selber. (Schwer genießbar bis schlicht unlesbar)

      Außerdem: Einen religiösen Kreuzzug gegen einen Atheisten zu führen, weil der einen religiösen Kreuzzug gegen Agnostiker führt ist schlicht absurd. Aber das scheinst Du nicht zu merken…

    2. bigmouth Says:

      deutlich schwächer als der erste teil. du arbeitest nicht richtig rus, was du sagen möchtest

    3. Motte Says:

      Ich muss ehrlich sagen, dass ich das mit “dem Punkt” selber dauernd mache – Christen die Ungereimtheiten vorhalten und so. Das werde ich jetzt vor lauter Peinlichkeit hoffentlich nicht mehr tun!

      Man sollte wirklich tiefer zielen!

    4. Benni Says:

      Dieser Text legt nahe, es könne so etwas wie eine Äquidistanz zwischen Religions- und Wissenschaftskritik geben. Das finde ich problematisch. Sicherlich ist beides nötig, aber den Kommunismus kann es ohne Religion wohl geben, ohne Wissenschaft wohl nicht (mehr). Auf letztere sind wir also angewiesen und deshalb ist eine sinnvolle Wissenschaftskritik im Kern immer solidarisch. Sonst wirds Eso.

      Was Dawkins angeht muß man das einfach im historischen Kontext sehen. Gerade in den USA aber auch hierzulande gibt es ja einen religiösen Backlash und da passt mir so ein kämpferischer Atheismus erstmal ganz gut in den Kram auch wenn er natürlich etwas platt ist. Dawkins hat ja in den USA sowas wie eine comming-out-Kampagne für Atheisten gemacht und das so etwas dort nötig ist, sagt doch schon alles. http://bedeutungswirbel.wordpress.com/2007/12/28/richard-dawkins-fur-den-militanten-atheismus/

      Die richtige Buskampagne sähe natürlich so aus: http://bedeutungswirbel.wordpress.com/2009/02/09/theres-probably-no-money/

    5. classless Says:

      @ Herb

      Hoppla, gerade das zweite Posting zur Kritik an Dawkins und schon führe ich einen religiösen Kreuzzug gegen ihn. Das sehe ich tatsächlich nicht, aber wenn dem so ist, dann wirf’s mir doch vielleicht nicht nur vor, sondern hilf mir, es selbst zu erkennen! Ich meine, mache ich Dawkins für lauter Übel auf der Welt verantwortlich? Das wäre allerdings eine ordentliche Schachtel: Ich erkläre den, der die Sündenbockjäger zu Sündenböcken macht, zum Sündenbock 😉 Plus: Ich glaube blind an den Agnostizismus! Hm.

      @ bigmouth

      Könnte daran liegen, daß ich meine Position selbst erst entwickle (und mich damit auch recht allein sehe). Der Hauptpunkt ist schon, daß es sich Dawkins zu einfach macht und den religiösen Scapegoatism über diese Vereinfachungen selbst zum Scapegoat macht.

      @ Motte

      Wenn’s dir jetzt peinlich ist – das freut den Diskordier!

      @ Benni

      Mir ist diese Coming-out-Funktion bewußt, aber die Frage scheint mir nicht banal, ob die bloße Konversion zum Atheismus nicht ein Problem durch ein anderes ersetzt. Wenn Dawkins Leute dazu ermutigt zu sagen, daß sie nicht an Gott glauben, finde ich das gut, wenn er sie dazu bringt, Religion für bloße Dummheit zu erklären und sich der Wissenschaft blind an den Hals zu werfen, finde ich das nicht gut.

      Ob “wir” im Kommunismus ohne Religion, nicht aber ohne Wissenschaft leben könnten, finde ich nicht weit genug gefaßt. Die Frage wäre doch, ob “wir” dann andere weiter glauben lassen, was sie glauben, und wie “wir” mit ihnen umgehen. Und wie die Wissenschaft aussieht.

      Ich mag deine “richtige Buskampagne” und mochte auch deinen Kommentar: “Was ich ja verstehen würde an Kritik wäre zu sagen, die Aufklärung (und als deren radikaler Vertreter tritt er ja an) stößt Gott vom Sockel und setzt den Menschen drauf, das Problem ist aber nicht Gott oder der Mensch sondern der Sockel.” Das trifft’s!

    6. bigmouth Says:

      ich denke übrigens, dass die methode, auf inkonsistente logik hinzuweisen, bei leuten, die nicht besonders fest in ihrem glauben sind, durchaus funktionieren kann. und das sind ja eher die meisten. wenn die auf die widersprüche zwischen ihrem sonntags-denken und dem im alltag hingewiesen werden, kann das durchaus denkprozesse in gang setzen, sich kritisch mit seinem glauben zu beschäftigen

      im übrigen: dawkins fordert ein bekenntnis zur wissenschaft – aber in einer abstrakten form, also nicht bekenntnis zu gewissen inhaltlichen dogmen (auch nicht zur evolution – er hält sie nur anders als ID für belegbar), sondern ausschließlich mit der forderung, dass thesen gewisse formale bedingungen einhalten müssen – also ein bekennntis zu einer methodik, der widerlegbarkeit inhärent ist, wo thesen überprüfbar sind usw. ich denke, das ist vernünftig. die wissenschaftliche methode scheint mir am ende auch die einzige zugriffsmöglichkeit auf die welt zu sein, die wirklich in der lage ist, unsere erkenntnis zu mehren

      ein unterschied : selbst die progressiveste feministische theologie muss sich an überlieferungen halten, sie muss im text autorität (und sei es noch so wenig) finden – sie geht normativ-moralisch-interessiert zur sache, wieß, dass irgendwo in der bibel (wenn auch auszulegende) große weisheiten für uns verborgen sind usw.

      dagegen ist wissenschaft eigentlich keine normative angelegenheit – besser: sollte keine sein. wissenschaft ist amoralisch

    7. bigmouth Says:

      und im gegensatz zur religion ist wissenschaft idr halt in der lage, gute gründe zu liefern, warum man wissenschaftlichen erkenntnissen glauben schenken sollte. sie ist zumindest in der lage, uns modelle zu liefern, mit denen wir sehr gut arbeiten & die vorgänge in der welt nachvollziehen und erklären können. das vermag theologie oder glauben so halt nicht – und deswegen ist sie wichtig

    8. Benni Says:

      @classless: Vielleicht muss man aber erst den Gott durch was greifbareres austauschen um den Sockel überhaupt sehen zu können?

    9. posiputt Says:

      wie waers, wenn wir die wissenschaft einfach als die fortgeschrittenste religion betrachten?
      also ausgehen davon, dass kein einzelner mensch in der lage ist, alle wissenschaftlichen erkenntnisse nachzupruefen und fuer richtig oder falsch zu befinden. glaube steckt da also zwangslaeufig drin. und das ist ja ok so, finde ich. und so ganz spontan wuerde ich sogar behaupten, dass wissenschaft eher agnostisch ist als atheistisch. wenn naemlich die wissenschaft auf widerlegbarkeit und dem zweifel beruht, dann hat da meiner meinung nach ein unverruecktbares “das (den) gibt’s nicht!” keinen platz. nicht zu vergessen ist ja, dass einiges, was gemeinhin als spinnerei abgetan wurde heute ganz normal ist. telefonieren; fliegen; computer; menschen, die nicht sterben, obwohl sie mit ueber 20km/h durch die gegend kutschiert werden; apropos: kutschen ohne pferde… etc.

    10. posiputt Says:

      ps: das video find ich super

    11. posiputt Says:

      pps: “here’s the conclusion. what facts can we find to support it?” – ist das nicht in etwa das, wozu der lhc gebaut wurde? 😛

    12. xenu's pasta Says:

      diesmal haste zwar viel geschrieben, bist aber leider unnötigerweise sehr an der Oberfläche geblieben. Eventuell das nexte Mal ein wenig länger am Text werkeln (kürzen!) oder vorher genauer klar werden, was Du eigentlich kritisieren willst (und ob das so zum Rest des Kritisierten passt). Disclaimer: ich habe das Buch nicht gelesen, kenne Dawkins hauptsächlich von Interviews, einigen Doku-Filmen und einigen Texten deutlich unterhalb von Buchlänge. Ich bin nicht besonders Fan von ihm, da mag ich Christopher Hitchens mehr, der ist ausserdem auch unterhaltsamer. Ahbär: ich denke, Du tust Dawkins hier unrecht.

      Ich ratter einfach mal meine Gedanken runter, ich gehe nicht davon aus, dass es sinnvoll ist, auf jeden einzelnen einzugehen.

      Das mit der Glaubensfrage ob Creation vs. Natural Selection halte ich für nicht haltbar. Dawkins Aussagen dazu waren m.E. immer ungefähr so: Natural Selection ist das beste Modell, was wir haben, es gibt hinreichend empirische Belege, keine empirischen Widersprüche, also können wir das als Theorie annehmen. (Definition: http://en.wikipedia.org/wiki/Theory). Welikowsky hätte übrigens eher Science-Fantasy-Autor werden sollen. Seine Ideen sind irgendwie interessant, passen aber nicht zum empirischen Teil unserer Realität. Ich weiss grad auch nicht, warum der grad auftaucht. Hat Dawkins ihn als Kreationisten beschimpft?

      God of the gaps: http://en.wikipedia.org/wiki/God_of_the_gaps. Keine Idee von Dawkins. Ich kenne die betreffende Stelle bei Dawkins nicht, würde es aber genau andersherum interpretieren: durch die rationale Erklärung weiter Teile des wahrnehmbaren Universums wird Gott in die unerklärlichen Parts “zurückgedrängt”, was natürlich für den erklärbaren Teil (bzw. den als erklärbar angenommenen) eine beschränkte Apostasie bedeutet. Der “persönliche Unglaube” würde sich demnach _nicht_ auf die Lücken der Wissenschaft, sondern auf die durch Wissenschaft erzeugten Lücken in Gottes’ Universum beziehen.

      Ich glaube, Dawkins glaubt tatsächlich an die langfristig sich deterministisch einstellende Korrektheit der wissenschaftlichen Methode, und demnach auch an eine objektive Wahrheit. Zumindest wäre das auch konsistent mit den Ansichten der meisten sich als (Natur-)Wissenschaftler begreifenden Leute, die ich bisher so getroffen habe. Das ist überhaupt meiner Ansicht nach Dawkins’ schwächste Seite. Kuhn’s SSR ist da genau die richtige Lektüreempfehlung.

      Die Bibel und Historizität in einen positiven Kontext bringen zu wollen ist denn dann auch ein wenig lustig, und fällt gerade beim gewählten Beispiel flach auf die Nase. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es den fraglichen Zensus, der Josef zur Reise bewegt haben soll, je gegeben hat. Und das bei einer schon recht archiv-versessenen römischen Bürokratie mit echten Langzeit-Backups.

    13. classless Says:

      Sorry, ich hab gerade nicht die Kapazitäten, die Diskussion in der nötigen Ausführlichkeit fortzuführen.

      @ xenu’s pasta

      Nix für ungut, aber du solltest das Buch vielleicht doch erst mal lesen, sonst diskutieren wir jetzt darüber, was du glaubst, was drin steht. Hab ich gerade keinen Nerv für.

      Ansonsten: Schön, daß ihr von mir sprachlich Rundes und Durchdachtes erwartet, aber trotzdem noch mal zur Erinnerung: fast alles in diesem Blog schreibe ich nebenher auf Arbeit, wenn mich gerade niemand ablenkt oder ertappen könnte. Daß das hier und da etwas faserig ist, finde ich auch nicht schön, ließe sich aber nur mit riesigem Aufwand ändern.

    14. Linkdump 17.04. « meta.blogsport Says:

      […] Classless liefert eine lesenswerte Kritik von Dawkins‘ Gotteswahn: Teil 1; Teil 2 […]

    15. Dirk Says:

      Interessante Kritik – auch ohne dass ich Dawkins gelesen habe. Finde das Thema ansich hochinteressant. Ich selbst finde reine Gläubigkeit oder Atheismus ein unnötig enges Weltbild. Von Erklärbarem und Unerklärbaren geht gleichermaßen die Grundlage des Lebens aus. Von dem MischMasch aus beidem lässt sich eine fantastische Existenz zeichnen, die einen schönen Abgleich mit dem tatsächlichen individuellen Erfahrungsspektrum zulässt. Nur würde ich aus dem Unerklärbaren nun ganz gewiss nicht die Notwendigkeit zum Glauben ableiten, wie dass zum Beispiel das Christentum tut. Vielmehr lässt sich daraus eine offene Zukunft und die Freiheit der Entscheidung ableiten. Das nenne ich eine wirklich frohe Botschaft – die Überwindung des deterministischen Weltbildes aber auch die Überwindung des dogmatischen Glaubens. Ich finde auch dass das über eine Agnostische Position hinausgeht (ohne diese schlecht zu sprechen). Hans Peter Dürr bietet hierzu auch interessante Gedanken, die Wissenschaft und Spiritualität vereinigen.

      Vielleicht ist auch Crowley würdig hier zitiert zu werden.

      »Wissenschaft sei die Methode Religion das Ziel.«

      Was mich im Übrigen so wundert, ist, wieso man der Foltergeschichte eines Gottesohnes und seiner Wiederauferstehung bedarf um sich zu wundern, wenn die Existenz von irgendwas schon extrem wundersam ist und im Unerklärbaren gründet. Hinter das Unerklärbare wiederum einen Willensakt (z.B.: von Gott) zu setzen macht die Magie der Unerklärbarkeit kaputt, denn Wille IST eine Erklärung und verschiebt den Punkt der Unerklärbarkeit nur um eine Stufe hin zu Gott (was gewinnt man dabei?).

      Quintessenz für mich ist. Akzeptanz der essentiellen Unerklärbarkeit, die zum Beispiel ihren erkennbaren Ausdruck in den Quantenfluktuationen des Vakuums zeigt. Hierzu ist auch der Kasimiereffekt ein wunderbares Beispiel der Verquickung von Erklärbarem und Unerklärbarem. Man genieße dazu folgenden Beitrag von Harald Lesch: http://www.br-online.de/br-alpha/alpha-centauri/alpha-centauri-casimir-effekt-harald-lesch-ID1207816894632.xml

    16. lasterfahrerei Says:

      @posiputt: »wie waers, wenn wir die wissenschaft einfach als die fortgeschrittenste religion betrachten?« vielleicht sollte einfachmal das wort glauben entfernt werden aus dem sprachgebrauch. du kannst doch nicht erlich jemanden was glauben worüber du nichts weisst. ich sehe eher das die verschiedenen religionen irgendwas behaupten, das kann man sich so anhören ebenso wie verschiedene wissenschaftler irgendwas behaupten. bei religion gehts ja hauptsächlich um weisheiten, bei wissenschaft eben um wissen. weisheiten sagen so ist es und da gibts nichts dran zu rütteln, das wissen hingegen gibt keine direkten imperativen handlungshinweise, viel zu wissen macht auch deswegen alles noch viel komplizierter, eben wie ein ballon der sich aufbläht, drinnen ist das wissen und die aussenhaut das unbekannte, um so mehr wissen da ist um so mehr fragen.

      aus der mythologie eines samuedischen stammes: früher war das himmelsreich der götter (das in den wolken ist) ganz dicht unten bei den menschen. bis jemand dreckige windeln an der wäscheleine aufgehangen hat, das hatte die götter erzürnnen lassen, da ihre wolken beschmutzt wurden. daruafhin haben sie sich dorthin zurückgezogen wo sie noch heute sind.

      diese geschichte ist ja auch schwer zu wiederlegen oder?

    17. bigmouth Says:

      “du kannst doch nicht erlich jemanden was glauben worüber du nichts weisst.”

      doch, das ist das grundprinzip von glauben im gegensatz zu wissen

    18. lasterfahrerei Says:

      und damit auch das problem. nun gut wollte wohl meinen “solltest nichts glauben”.

    19. Cannabis Kommando Says:

      Also daß Moslems über keine Argumentationsfiguren gegenüber Atheisten verfügen stimmt so nicht.

      Atheist: Es gibt keinen Gott.
      Christ: Davon bin ich nicht überzeugt.

      Atheist: Es gibt keinen Gott.
      Moslem: Ausser…

    20. lasterfahrerei Says:

      ja klar “es gibt einen gott” aber das ändert aber nichts im hier und jetzt. swtf!?!!

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