Ökonomischer Gottesdienst, Überwachung, Kontrolle, Desintegration

May 4th, 2009

Der Laden ist leer, so wie die meisten anderen Läden zuletzt die meiste Zeit über auch. Das Sommerloch, das sonst Ende Mai anfängt, klafft im Grunde schon seit März und folgte recht unmittelbar auf das “Eisloch” vorher. Gründe gäbe es viele: Krise, Schweinegrippe, Wetter, zu viele Märkte auf zu engem Raum. Doch das sind für die obere Etage nur Ausreden.

Der nette Abteilungsleiter zu einem Promoter: “Für dich und für Tage wie heute wurde die Tagespauschale erfunden – damit du trotzdem heute abend glücklich mit deinem Bugatti nach Hause fahren kannst.” Direkt danach läuft ein Mächen im Grundschulalter mit einem Pulli vorbei, auf dem steht: “Titten raus, is Sommer!” Seine Eltern sind auch da.

Ich hole meine Tasche aus dem Schließfach im Markt, wo ich sie deponieren muß, weil es draußen keine Schließfächer mehr gibt. Dann laufe ich zum Ausgang, der aus einem kahlen, fensterlosen, kunstbeleuchteten Raum besteht, in dem eine Security-Frau den ganzen Tag sitzt und liest (Knast). Sie durchwühlt wie immer meine Tasche einschließlich aller Seitentaschen bis in den letzten Winkel, weil ich Glück habe und das Stichproben-Lämpchen grün und nicht rot leuchtet, muß ich heute mal nicht meine Hosentaschen leeren und mich mit dem Detektor abpiepsen lassen. Sonst hätte es wieder die Diskussion um den USB-Speicher gegeben, den ich eigentlich nicht mit in den Markt nehmen darf, den ich aber auch schlecht den Tag über auf dem Alex vergraben kann und der gerade außerdem dafür sorgt, daß wir Verträge drucken können, obwohl der Drucker am Auftragserfassungsrechner streikt.

Dann gehe ich aus der Tür und bin leider vom ganzen hektischen Rumgestehe der letzten Monate zu fertig, um mich darüber zu freuen, daß ich das – bis auf wenige Ausnahmen – erst im Herbst wieder miterleben muß.

6 Responses to “Ökonomischer Gottesdienst, Überwachung, Kontrolle, Desintegration”

  1. shigekuni Says:

    hektisches rumgestehe ist ein toller ausdruck

  2. Gehirnschnecke Says:

    Eigentlich ist es schon irgendwo großartig, dass man ja eigentlich nicht mehr arbeiten kann, wenn man sich an alle Vorschriften hält, die es auf Arbeit zu beachten gilt.

  3. Cannabis Kommando Says:

    Wieviel Prozent der Mitarbeiter reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln und nicht mit dem eigenen PKW zur Arbeit an und ab? Berücksichtigen die Vorschriften für die Mitarbeiter dass die Verkehrsanbindung der einzelnen Filialen standortbedingt sehr unterschiedlich ist?

  4. classless Says:

    Es ist absurderweise gerade dort so eingerichtet, wo die meisten mit ÖPNV fahren.

  5. Cannabis Kommando Says:

    Ich kann mir vorstellen dass die Firma an ausgewählten Standorten keine Schließfächer für Kunden bereitstellen möchte, weil es beim Management eine irrationale Angst gibt, da könnte ein Terrorist eine Bombe reinstellen, und das werden wohl gerade die Standorte mit der besten Verkehrsanbindung sein.

    Irrational deswegen, weil wenn die Firma ihre Mitarbeiter nur als Ladendiebe und nicht als Terroristen verdächtigen würde, dann würde es auch ausreichen ihnen auf dem Weg zwischen Arbeitsplatz und Umkleide in die Taschen zu gucken. Es muss doch problemlos möglich sein, dass ein Mitarbeiter Feierabendgepäck im Spind abstellen kann, ohne es aufschnüren zu müssen. Oder will dieser Laden seinen Leuten jedes vorausschauende logistische Denken austreiben?

  6. Gehirnschnecke Says:

    Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Geschäftsleitungen logisches Denken vermeiden und ihre Abhängigen meist eher so nebenbei foltern – ich behaupte mal, da ist meist echt keine böse Absicht dahinter, eher Ignoranz und/oder Faulheit.

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