Die Berliner Kampagne gegen “Haßbrenner” und “Terroristen”

November 26th, 2009

Bei Spiegel Online ist alles klar: schnell ist eine Linie von der Militanten Gruppe über die Autoabfackeleien zu den Hausprojekten gezogen und ein riesiger Sympathisantenkreis benannt. Einiges in dem Video ist so offenkundig falsch, daß es kurz darauf eine revidierte Fassung gibt; aber auch in der fällt kein Wort über Sarrazin, über die Rolle der Stadt. Es heißt bezüglich der Brunnenstraße 183 einfach: “nichts geschah”. Das heißt: Nichts geschah, bis dann endlich die Polizei kam und durchgriff.

In der Berliner Boulevardpresse wird seit Wochen eine finstere Verschwörung von unten herbeigeschrieben: Weil die Hausprojekte von der Gentrifizierung betroffen sind, müssen es ja wohl diese Leute sein, die die Autos anzünden. Mit diesem “Cui bono?” könnte es aber auch jeder von den Tausenden sein, die sich von der “Gentrifizierung” betroffen sehen oder sie am Beispiel von Prenzlauer Berg miterlebt haben. (Genausogut könnten Versicherungsagenten verdächtigt werden, denn tatsächlich steigen die Kosten für Autoversicherungen in den fraglichen Gebieten.)

Fuck Berlin!
Mit solchen “Haß-Graffitis” beginnt der Weg in den Extremismus!

Zu diesem Denkkurzschluß kommt ideologisch motivierte Begriffsverwirrung, zuallererst die von der “Gewalt gegen Sachen” (wie das Verfassungsschutz-Comic “Andi” lehrt, der Einstieg in den Terror), in der diese Sachen niemals “Eigentum” heißen. Zudem werden die Brandanschläge auf Privatfahrzeuge mit dem versuchten Brandanschlag der Militanten Gruppe auf Bundeswehrfahrzeuge zusammengeworfen, um die Autoabfackler in die Nähe von verurteilten “Terroristen” zu rücken. “Bild” forderte: “Räumt endlich die linken Terror-Nester!”

Dann die konkreten Zugriffe. Gibt’s denn stichhaltige Beweise dafür, daß die Leute in der Brunnenstraße etwas mit den Autoabfacklern zu tun haben? Woher weiß eigentlich irgendwer, wieviele der Brandanschläge überhaupt von Autonomen begangen werden und wieviele von unpolitischen Leuten, die durch die öffentliche Aufregung überhaupt erst auf die Idee kamen? Wieso wird in der Brunnenstraße das ganze Haus geräumt und teilweise unbewohnbar gemacht, wenn doch einige der Bewohner gültige Mietverträge haben? Wieso werden wegen eines mutmaßlichen Brandstifters zwei komplette Hausprojekte und ein Infoladen-Café durchsucht? Wieso darf der junge Mann auf der Titelseite der Boulevardpresse abgebildet und über den Artikel namentlich bekannt gemacht werden?

>>Bisher wurden 2009 16 Menschen im Zusammenhang mit Brandstiftungen festgenommen. Es gab bis jetzt eine Verurteilung eines Mannes, der nachweislich keinen politischen Hintergrund hatte. Die bisherigen Verfahren gegen linke AktivistInnen endeten mit Freisprüchen oder stehen kurz vor dem Freispruch.<< (Bauhaustapete)

Revenge B183

Sinn der Übung: Einschüchterung. Den irregeleiteten Schäfchen klarmachen, Häuser besetzen und Graffitis sprühen wäre sozusagen die Einstiegsdroge in den Terrorismus. Den Eindruck vermitteln, es hätte keinen Sinn, sich zu wehren. Wenn die Polizei einen “Hinweis” hat, kann sie in jedes Haus mit Hunderten von Beamten einrücken. Also werden die Polizeieinsätze nach Quadratmetern geplant, zur Räumung von 20 unvorbereiteten Leute 600 Cops aufgeboten. Sie haben das Haus unbesetzbar gemacht, indem sie’s unbewohnbar machen.

Dieser Eindruck lebt davon, daß die Polizei alles unter Kontrolle behält. Sobald sie – wie am letzten Dienstag im Friedrichshainer Südkiez – überrascht und überrumpelt werden, sind sie erstaunlich hilflos. Mit einer Lage, die sie nicht komplett herbeigeführt und geplant haben, können die Cops nach wie vor kaum umgehen. Ihre Abhängigkeit von Befehlen und ihre relative Trägheit kann gegen sie gewendet werden.

Und dieser Eindruck lebt auch davon, daß sich alle, die mit den konkreten Hausprojekten politische Differenzen haben, nun raushalten und den Angriff nicht als einen Angriff auf alle verstehen, die vom “Extremismus der Mitte” aus gesehen als Linke, Linksradikale und Linksextremisten gelten. Wer jetzt rumpoltert, wo denn nun bitteschön die angedrohte Vergeltung der Hausbesetzer bliebe, hat offenbar nicht verstanden, daß die Drohung schon der Punkt war – und von der Polizei ja auch offenbar ziemlich ernstgenommen wird. Die gestrige Demo war nicht besonders militant, sondern einfach 100 Leute stark und laut, wobei viele Sprechchöre eben Konsequenzen für die nächsten Räumungen androhen.

Kollwitzplatz, Prenzlauer Berg
Vor diesem Laden ging die Demo gestern abend los

Und wer jetzt meint, das wäre gerade nicht sein Thema und es ginge ja nicht konkret gegen ihn, wird sich wundern, wie schnell die gerade erprobten Polizeimaßnahmen und begleitenden Kampagnen ihn selbst treffen können.

Spreeblick schrieb informativ über das Projekt und die Räumung, nur um dann “eine klare Distanzierung von Brandanschlägen und anderen Übergriffen” zu fordern und den Wert der Projekte danach zu bestimmen, was sie zum “Charme der Stadt” und zu den Tourismuserlösen beitragen. Ich kommentierte dort:

Wegen der Medienhysterie sollen sich nun diejenigen voneinander distanzieren, um die es dabei geht? Auf die Vorverurteilungen, “Guilt by association”-Verallgemeinerungen und die überzogenen Polizeieinsätze soll mit einem “Wir waren’s nicht – die waren’s!” reagiert werden? Und das dann auch noch vor allem, damit Berlin als Tourismusmagnet nicht an Anziehungskraft verliert? Mir sind viele Projekte wichtig, die kaum zum “Charme der Stadt” beitragen dürften…

Keine Entsolidarisierung für den Standort Berlin!

Demo - Verkehrsstörungen
Die Verkehrsleitstelle hat noch die falsche Startzeit

Also: heute um 20 Uhr Demonstration vom Oranienplatz zum Hackeschen Markt. Motto: “Ihr habt den Termin bestimmt, wir bestimmen den Preis! Brunnen183 fights back!” Infos unter wba.blogsport.de.

12 Responses to “Die Berliner Kampagne gegen “Haßbrenner” und “Terroristen””

  1. nada Says:

    der spiegel glänzt ja in der geschichte wieder durch eine wunderbare ambivalenz: http://www.spiegel.de/video/video-1033464.html

  2. nada Says:

    war der falsche link, bezog mich auf das video: http://www.spiegel.de/video/video-1033929.html

  3. Wohnen in Berlin unter Hartz IV - Seite 5 - Erwerbslosen Forum Deutschland (Forum) Says:

    […] […]

  4. classless Says:

    @ nada

    Naja, was heißt Ambivalenz: dem deutschen Publikum mußten sie doch nur zeigen, wie vermüllt es im Haus war und sagen lassen, daß es seit zwei-drei Jahren nur noch um Zerstörung ging, damit die beiden sympathisch präsentierten Jugendlichen vor allem naiv wirken. Und wieder hat die Polizei den Spuk “friedlich” beendet und die Verirrten in die Realitäöt zurückgeholt. Oder so.

  5. Aktionskletterer Says:

    Dass die Brunnen so abgefeiert wurde liegt ja auch daran dass die Räumung ihre Schatten vorausgeworfen hat. Sonst hätte der Kamaermann nicht zugemüllte Gemeinschaftsräume filmen können – das alles hat einmal am Rand der Überflußwirtschaft funktioniert, aber irgendwann war es niemandem mehr die Mühe wert, auch kleine Mengen Alltagsarbeit in den Betrieb zu investieren. Ist ja eh alles dahin sobald die Räumung kommt, der Zirkelschluß nimmt materielle Form an. Ich hab aber auch schon gehört Containern zieht die Leute runter, zumindest kann es einzele Leute so runterziehen dass sie die Gemeinschaftsräume an denen sie teilhaben nur noch als Container sehen, und den Rest erledigt das Mehrheitsprinzip.

    Aber es geht hier auch noch um etwas anderes. Der Schwarze Block hat einen eigenen Rechtschutz, eigene Sanitäter, wieso nicht auch eine eigene Obdachlosenfürsorge? Mal abgesehen vom politischen Zwang zur Meldeadresse, in selbstorganisierter Form fällt das mit Aktionsinfrastruktur in eins, und kann Kapazitäten bereitstellen den Kapitalismus zu umgehen, welche dann auch in politischen Auseinandersetzungen verfügbar sind. Dass die Zeitungen mit den großen Buchstaben geifern weil nicht mal Grillanzünder gefunden wurden zeigt doch dass die Richtung stimmt, auch wenn es äußerst unschön ist dass ein Projekt gerade während seiner strukturellen Insolvenz von außen angegriffen wird.

  6. zur Häuserdurchsuchung Brunnenstraße am 16.11 « Gedanken einses Menschen Says:

    […] zentrale Frage die sich in den letzten Tagen in meinem Kopf abspielte: Wieso werden wegen eines mutmaßlichen Brandstifters zwei komplette Hausprojekte und ein Infoladen-C… Welcher Richter oder Staatsanwalt hat wenn nach Grillanzünder (was ja anscheinend schon für die […]

  7. Brunnenstraße 183 geräumt – Hausprojekte kriminalisiert « Linienstraße 206 bleibt! Says:

    […] Broschüre zu „linksextremer Gewalt“ des Berliner Verfassungschutzes. Daß neben denen, die der VS als „linksextremistisch“ und „gewaltbereit“ einstuft, auch noch […]

  8. Brunnenstraße 183 geräumt – Hausprojekte kriminalisiert « streetart supports squats&co Says:

    […] zusammengeschusterte Broschüre zu „linksextremer Gewalt“ des Berliner Verfassungschutzes. Daß neben denen, die der VS als „linksextremistisch“ und „gewaltbereit“ einstuft, auch noch ein Großteil […]

  9. classless Kulla » Blog Archive » Demo-Blogbericht in Tweetlänge Says:

    […] in Königs Wusterhausen Demo-Blogbericht in Tweetlänge December 6th, 2009 Freiraum-Demo: Für die Gesamtlage & für Samstag von Friedrichshain nach Kreuzberg viel zu wenig Leute, aber zeitweise sehr […]

  10. Banausenrepublik » Blog Archive » Knastarbeit gestern und heute Says:

    […] verbringen mußten, beeindruckende Unterstützungsarbeit geleistet. Mit der zunehmenden Hetze gegen linke außerparlamentarische Strömungen durch Presse und Verfassungsschutz, die sich […]

  11. companer@ Says:

    inzwischen gibt es nen remixwettbewerb auf linksunten, zu dem auch schon die ersten remixe aufgetaucht sind 🙂

  12. classless Kulla » Blog Archive » Die kleinen Korrekturen Says:

    […] um Gentrifizierung in Friedrichshain (Wir erinnern uns: Das ist der Stadtbezirk der “Haßbrenner”, der seit Monaten im linksfaschistischen Chaos versinkt.) Nun stellt der dort als Betroffener […]

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