Einreichung zum 27C3: Vortrag zu Wikileaks und Transparenz

October 25th, 2010

Für den diesjährigen Chaos Communication Congress greife ich eine Anregung von ihdl auf und nehme mir – gewissermaßen als Ausweitung meines Vortrags auf der re:publica – netzbewohnerspezifische Formen von Demokratieidealismus vor.

_Event title_
Ganz schön durchsichtig

_Subtitle_
Warum Wahrheit und Transparenz nicht frei machen

_Abstract_
Die Wahrheit über Herrschaft und Ausbeutung wurde von Wikileaks und Transparenz-Kampagnen nicht bekannter gemacht: daß sie nämlich abgeschafft gehören, wenn die Menschen frei sein sollen. Die dagegen läppischen Wahrheiten über dieses oder jenes Verbrechen helfen dabei wenig.

_Full description_
Die Anhänger von Wikileaks und Verfechter der Transparenz zeigen sich höchst engagiert, doch wofür und wogegen eigentlich? Daß Regierungen Menschen beherrschen, ist für sie nicht das Problem. Daß die von ihnen so oft bemühten Staatsbürger ihre Entscheidungen an andere delegieren, die dann für und über sie entscheiden, ist für sie nicht das Problem. Daß fast alle Menschen auf der Welt zur Lohnarbeit gezwungen sind und ohne sie je nach Landstrich zu Armut, Krankheit, Hunger und Tod verurteilt sind, ist für sie nicht das Problem.

Nein, sie glauben, wenn sie den Herrschenden beim Herrschen, der Exekutive beim Exekutieren und den Unternehmern beim Unternehmen auf die Finger schauen können, wäre die Welt schon gut und der Mensch frei.

Wer wiederum entscheidet, welches Geheimnis gelüftet wird und welche Wahrheit eine ist, die frei macht, wird offenbar durch Selbsternennung und Willkür bestimmt. Wer am Ventil sitzt, kann es eben aufdrehen.

Der Skandalisierung von Korruption, Geheimstrukturen und Betrug wohnt immer die Vorstellung inne, daß es ohne sie gut sein könnte, daß eine Welt, in der sich alle an die Regeln von Marktwirtschaft und Demokratie halten würden, die beste aller möglichen Welten wäre. Indem sich an den Regelverstößen aufgezogen wird, bleibt das Regelwerk unangetastet, wird sogar noch weiter aufgewertet. Indem alleinig die Zugangsbeschränkungen zu bestimmten Informationen kritisiert oder sabotiert werden, bleiben die überall beständig wirksamen Zugangsbeschränkungen zum gesellschaftlichen Reichtum, die Menschen ohne das nötige Zugangsmittel Geld notfalls verhungern lassen, unbeachtet.

Bei “Access All Areas” ginge es für Millionen von Menschen zunächst um die Lebensmittelabteilung des nächstgelegenen Supermarktes.

_Submission notes_
Dieser dahergelaufene steinzeitmarxistische Wichtigtuer Kulla pißt wieder der guten Sache ans Bein, um sich zu profilieren und weiter diese Unmengen von Geld damit zu scheffeln. Dabei hat das doch keine Relevanz und interessiert auch keinen. Oder so.

Wie in den letzten Jahren gibt es auch diesmal das Angebot, den Vortrag bei Ablehnung in der c-base zu halten, wo dann wohl auch wieder ein ganzer Abend mit den “Remains of the Congress” stattfinden dürfte. Ob der Vortrag beim 27C3 angenommen wird, soll sich laut CfP bis 9. November entscheiden.

37 Responses to “Einreichung zum 27C3: Vortrag zu Wikileaks und Transparenz”

  1. classless Says:

    Vielleicht verwende ich auch die beiden Stellen aus “Der kommende Aufstand“, an denen von Transparenz die Rede ist:

    “Der Verglasung des globalen Territoriums folgt passgenau der Zynismus der zeitgenössischen Architektur. Ein Gymnasium, ein Krankenhaus und eine Mediothek sind verschiedene Variationen ein und desselben Themas: Transparenz, Neutralität, Uniformität. ”

    Und:

    “Die planetare Hyper-Bourgeoisie könnte ihren Lebenstil nicht als respektabel gelten lassen, wären ihre letzten Launen nicht aufs Strengste »umweltfreundlich». Nichts hätte ohne die Ökologie noch genug Autorität, jeden Einspruch gegen den immensen Fortschritt der Kontrolle zum Schweigen zu bringen.
    Nachvollziehbarkeit, Transparenz, Zertifizierung, Öko-Steuern, Umwelt-Exzellenzinitiativen der Regionen und Wasserqualitätspolizei sind die Vorzeichen des sich ankündigenden ökologischen Ausnahmezustands. Alles ist einer Macht erlaubt, die im Namen der Natur, der Gesundheit und des Wohlbefindens agiert.”

  2. posiputt Says:

    ich freu mich auf den abend in der c-base; mit der ablehnung kannste ja rechnen.

  3. classless Says:

    Plan für nächstes Jahr: erst eine Ablehnung von der c-base erwirken und diese in die Einreichung mit reinschreiben, um dem Content Meeting die Ausrede wegzunehmen…

  4. posiputt Says:

    @classless du denkst ja ueber das CM schon nach wie ich ueber die ARGE … huh.

  5. Donauwelle Says:

    Das ist schon ein spannendes Thema, ob Wikileaks eher soetwas ist wie die Antifa (das sich selbst überflüssig macht in dem Maße wie es seine Gegner erfolgreich abschafft) oder soetwas wie der BfV-NPD-Komplex (etwas was sich selbst erhält indem es die Abschaffung seiner Gegner verzögert), allerdings auch ein unergiebiges. Hauptsächlich dürfe das davon abhängig sein in welchem Maße es sich dabei um selbsterhaltende Arbeitsplätze handelt oder um einen Teil einer Bewegung mit politischen Zielen. Andererseits ist es schon seltsam wenn diese Kritik jetzt auf einmal von jemandem erhoben wird der davor gegen Seymour Hersh oder Erich Schmidt-Eenboom nichts Vergleichbares zu sagen hatte, obgleich das Projekt gegenüber dem expertokratischen Enthüllungsjournalismus einen beachtlichen Fortschritt darstellt. Ich würde das lieber zielorientiert formulieren: Wenn das Ideal der Transparenz dazu dienen soll die Geheimpolizeien abzuschaffen anstatt sie zu verbessern, tut dies auch die Kritik daran, oder ist sie nur der Ausdruck einer Art Unbehagen in der Gegenkultur?

  6. h. Says:

    “Man muss das Ideal der direkten Demokratie, der partizipativen Demokratie als den Wunsch nach einer allgemeinen Aneignung jeglicher Information, die in seinen Teilen enthalten ist, durch das kybernetische System verstehen. Die Forderung nach Transparenz, nach Rückverfolgbarkeit ist eine Forderung nach vollkommener Zirkulation der Information, ein Progressismus in der Logik von Strömen, der den kybernetischen Kapitalismus beherrscht. (…) Wir wollen nicht mehr Transparenz oder mehr Demokratie. Davon gibt es genug. Wir wollen im Gegenteil mehr Undurchsichtigkeit und mehr Intensität.”
    –Tiqqun, Kybernetik und Revolte, 62ff

    Da geht die Reise mit Unternehmungen wie Wikileaks und Open Government hin. Ob man es mit Deleuze Kontrollgesellschaft nennt oder mit Foucault demokratisiertes Panoptikon: Letztlich geht es um totales Feedback. Oder anders gesagt, Open Empire.

  7. classless Says:

    Das lese ich auch gerade – hab mir die beiden Tiqqun-Büchlein von diaphanes bestellt, weil mich die bessere Übersetzung des “kommenden Aufstands” enorm geflasht hat. Der kybernetische Kapitalismus, den sie beschreiben, scheint mir das Neue Jerusalem mit modernen Mitteln – dann möchte ich umso lieber in Babylon leben. In dem Babylon für alle…

  8. h. Says:

    Zu Feedback und den Herkünften der Transparenzideologie auch gut:

    http://www.soziologie.uni-halle.de/broeckling/docs/6-und-wie-war-ich-mittelweg36.pdf

    Besonders schön darin finde ich das Johari-Fenster:

    “Das Schema zeigt die dem gruppendynamischen Programm eingeschriebene
    Norm der Transparenz. Das Fenster wechselseitiger Sichtbarkeit
    kann gar nicht groß genug sein. Erkenne Dich selbst, lautet die
    Maxime, offenbare Dich den anderen und sorge dafür, daß Du auch von
    ihnen möglichst viel über Dich erfährst. Die Bereiche eingeschränkter
    Selbst- und Fremdbeobachtung ließen sich zwar nicht gänzlich zum Verschwinden
    bringen, die Gruppendynamiker behandelten sie jedoch eher
    als lästige Residuen denn als schützenswerte Zonen individueller Intimität
    und zwischenmenschlichen Taktgefühls. Die Trainingsgruppe erwies
    sich so als eine demokratische Nachkriegsvariante jenes sozialen
    Radikalismus, gegenüber dessen völkischen und kommunistischen Ausprägungen
    Helmuth Plessner in den 1920er Jahren die »Grenzen der
    Gemeinschaft« verteidigt hatte. Die Gruppendynamik mobilisierte
    nicht mehr die communio eines partikularen Blutes oder der universellen
    Sache, sondern gründete ihr Ethos rückhaltloser Selbstöffnung auf
    einem der Kybernetik entlehnten Konzept des persönlichen und sozialen
    Wachstums durch Information: Je mehr ich von mir und den anderen
    weiß (und deshalb darüber spreche, wie ich mich fühle und die
    anderen erlebe), so die Ratio, desto effizienter werden wir unser Zusammenleben
    regeln und desto befriedigender wird es für jeden einzelnen
    von uns sein. Selbstabschließung dagegen führt zu pathologischen
    Lernprozessen mit potentiell selbstzerstörerischen Folgen.”

  9. classless Says:

    Und dagegen will ich die Kommune setzen, in der die Gleichheit im Zugang zum Reichtum besteht und das Gemeinsame in der gesellschaftlichen Produktion, in der sich daraus und darüber hinaus aber eben das “Reich der Freiheit” erhebt, in dem die Singularitäten mit allen Spitzen und allen Kanten stehen bleiben und aufeinanderprallen können.

  10. Wolfgang Says:

    Gib mir bitte rechtzeitig bescheid, ob/wann/wo dein vortrag stattfindet. Hoffe nur, auf der veranstaltung ist man von “mucke” verschont. Eine englisch-übersetzung davon wäre hernach auch ganz brauchbar zum versenden an einige wacklige comrads.
    Gruss vom Aussenklo.
    Yr lonely communard W.

  11. i heart digital life » Wikitruth bei Kulla Says:

    […] Die Wahrheit über Herrschaft und Ausbeutung wurde von Wikileaks und Transparenz-Kampagnen nicht bekannter gemacht: daß sie nämlich abgeschafft gehören, wenn die Menschen frei sein sollen. Die dagegen läppischen Wahrheiten über dieses oder jenes Verbrechen helfen dabei wenig. (weiterlesen) […]

  12. xbg Says:

    “Nein, sie glauben, wenn sie den Herrschenden beim Herrschen, der Exekutive beim Exekutieren und den Unternehmern beim Unternehmen auf die Finger schauen können, wäre die Welt schon gut und der Mensch frei.”

    Hast Du dafür eine Quelle? Hat das Wikileaks so gesagt? Oder hast Du Dir diese Behauptung einfach ausgedacht?

  13. classless Says:

    Es gibt natürlich auch noch anderes, was sich von unterschiedlicher Seite von der neuen Transparenz erhofft wird:

    “Die neuen Enthüllungen geben Malikis Kritikern Auftrieb, die verlangen, dass die Machtfülle des Regierungschefs beschnitten werden müsse. Sie stärken jene Kräfte, die eine angemessene Vertretung der Sunniten im neuen Kabinett fordern. Dazu gehören insbesondere auch die USA, die darüber hinaus die Schaffung eines Sicherheitsrates angeregt haben, um die Macht besser auszubalancieren. (…) Auch Sadr hatte sich kürzlich hinter Maliki gestellt, nachdem seine Gruppierung zuvor vehement gegen eine neue Amtszeit für Maliki gekämpft hatte.Ausgerechnet Sadr und seine Mehdi-Armee werden in den Wikileaks-Dokumenten als eine der zentralen Organisationen genannt, über die der Iran seinen Einfluss im Zweistromland politisch und militärisch geltend macht.”

    “Auch in den arabischen Nachbarländern hat die Veröffentlichung der Wikileaks-Dokumente ein großes Echo ausgelöst, die Kommentatoren stuften sie aber nicht als überraschend ein. Ganz unterschiedlich fiel ihre Schwerpunktsetzung aus. Die große panarabische Tageszeitung „ Al-Sharq al-Aswat“ titelte „Iran versuchte die irakische Regierung zu schwächen“, während die große Zeitung „Al-Hayat“ die Forderung der UN an die USA, die Vorwürfe der Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, an die Spitze stellte. Andere Medien legten das Gewicht auf die neuen, höheren Opferzahlen in diesem „Blutbad“, wie ein Blatt aus den Emiraten formulierte.”

    (Tagesspiegel: Der Premier und die Protokolle.)

    Ich habe mir das ausgesucht, was ich am besten kritisieren kann und was mir bekannte Fans von Wikileaks und Anhänger anderer Formen von “inversem Panoptismus” mehr oder weniger intensiv vertreten. Wie auch sonst sind diejenigen gemeint, die sich davon angesprochen fühlen.

  14. scott pilgrim Says:

    “Der Skandalisierung von Korruption, Geheimstrukturen und Betrug wohnt immer die Vorstellung inne, daß es ohne sie gut sein könnte, daß eine Welt, in der sich alle an die Regeln von Marktwirtschaft und Demokratie halten würden, die beste aller möglichen Welten wäre.”

    Deine Kritik an Wikileaks ist, dass es dem Kommunismus nicht hilft. So what?
    Den Opfern von Folter und Menschenrechtsverletzungen weltweit würde es sicherlich weiterhelfen, wenn sich alle an die “Regeln von Demokratie und Marktwirtschaft” halten.
    Solange das der Fall ist, wirst du auch nicht auf allzuviel Interesse für marxisische Analyse auf den C3 stoßen.

  15. classless Says:

    “Deine Kritik an Wikileaks ist, dass es dem Kommunismus nicht hilft. So what?”

    So this: wenn Armut und Hunger für dich keine Folter und Menschenrechtsverletzung darstellen und es dir egal ist, wenn sich die dafür verantwortliche Herrschaftsform unter Mithilfe ihrer vermeintlichen Kritiker optimiert, hab ich dir wohl nicht viel zu sagen.

  16. xbg Says:

    “Die Anhänger von Wikileaks und Verfechter der Transparenz … glauben, …”
    “Wie auch sonst sind diejenigen gemeint, die sich davon angesprochen fühlen.”

    Merkste schon, dass das zwei völlig verschiedene Aussagen sind, oder?

  17. classless Says:

    Bei Version 2.0 nehme ich das “Die” am Anfang des Satzes weg. Okay?

  18. Cyrano Says:

    @xgb: als bräuchte man eine quelle bzw. ein direktzitat, um aufzuzeigen, was auf diese fixierung auf transparenz folgt, und in welchem verhältnis transparenz zu herrschenden indeologien steht. und da präsentiert sich das ganze ähnlich wie die idealisierte “freie presse” denen denen es nicht in den sinn kommt abhängigkeit von bestimmten kapitalisten anders als als “freieheit” zu bezeichnen vor allem dazu zu suggerieren dass das system sich eben schon irgendwie selbst reguliert.
    @scott pilgrimm: die kritik ist dann eben auch nicht, dass es dem kommunismus nicht hilft, sondern das allein schon die idee, es könnte so einen kapitalismus geben, bei dem sich alle an die regeln der marktwirtschaft halten (und bei der die regeln der marktwirtschaft etwas anderes sind als die konkurrenz tendenziel überflüssiger arbeitskraftbehälter untereinander), und mit so nem transparenten kuschelkapitalismus sei schon viel gewonnen.

  19. xbg Says:

    Nun, ich weiß ja nicht, welche Version stimmt. Ohne mehr dazu zu recherchieren kann ichs ja im Grunde auch gar nicht anhand des Teasers beurteilen.
    Vermutlich muss ich wohl einfach Deine Belege für das Vorhandensein dieses Glaubens abwarten und kann mir dann anhand dessen ein Urteil bilden, ob diese Belege einen relevanten Personenkreis nahelegen. Wäre natürlich praktisch, wenn es vor dem Vortrag schonmal ein paar Hinweise auf diese Leute gibt.

  20. xbg Says:

    @Cyrano:

    “Fixierung auf” meinst Du synonym zu “Beschränkung auf”, oder? Ich habe das zur Verdeutlichung im folgenden mal so ersetzt.

    “als bräuchte man eine quelle bzw. ein direktzitat, …”

    “… um aufzuzeigen, was auf beschränkung auf transparenz folgt”

    Dafür bräuchte man keine Quellen, richtig. Lob und Preis diesem Ansatz!

    “… um aufzuzeigen, was auf diese beschränkung auf transparenz folgt”

    Dafür braucht man Quellen, wenn man “diese beschränkung” relevanten gesellschaftlichen Kräften zuschreibt, die angeblich kein Problem mit x haben und y glauben.

  21. scott pilgrim Says:

    @cyrano:
    “sondern das allein schon die idee, es könnte so einen kapitalismus geben, bei dem sich alle an die regeln der marktwirtschaft halten”

    wo steht das denn im Ursprungsposting? Und was ist an transparentem Kuschelkapitalismus schlimmer als an einem ohne Transparenz und Kuscheln?

    @classless:
    “wenn Armut und Hunger für dich keine Folter und Menschenrechtsverletzung darstellen und es dir egal ist, wenn sich die dafür verantwortliche Herrschaftsform unter Mithilfe ihrer vermeintlichen Kritiker optimiert, hab ich dir wohl nicht viel zu sagen.”

    Nein, weder habe ich eine idealisierte Vorstellung von Wikileaks noch vom Kapitalismus. Ich frage mich nur, warum gerade diejenigen, die sowieso einen Ausweg aus letzterm nicht für aussichtsreich halten so vehement dagegen sind, seine schlimmsten Symptome zu bekämpfen.
    Die Antwort kann ja wohl nicht sein, dass Wikileaks irgendwie den Kapitalismus optimiert und damit Armut und Hunger verschlimmert.

  22. Cyrano Says:

    @xbg: ob du´s glaubst oder nicht, Classless brauch wirklich niemanden zu zitieren der sagt: “ich finde wikileaks toll weil … siehe oben”. Es reicht sich mal anzuschauen, wo die Enthüllungen überall abgefeiert werden um zu sehen dass hier eindeutig falsche Vorstellungen über eine Art Grassroots-Selbstkontrolle der kapitalistischen gesellschaft genährt werden, unabhängig davon ob sich Akteure oder Rezipienten dessen bewusst sind. (Bsp. Assange in der Dailyshow). Wäre ja noch schöner, wenn man seit neuestem, sagen wir die Wirkungmechanismen der Kulturindustrie, nur noch kritisieren dürfte wenn irgend ein VIP gesagt hat: Ja, genau so Arbeiten wir, das ist unsere Wirkung.
    @scott pilgrim
    “Den Opfern von Folter und Menschenrechtsverletzungen weltweit würde es sicherlich weiterhelfen, wenn sich alle an die “Regeln von Demokratie und Marktwirtschaft” halten.” Das steht in deinem Posting, und meine Antwort war, dass Kritik an Wikileaks nicht deshalb berechtigt ist, weil es “nicht dem Kommunismus hilft”, sondern eben weil ohne diese Kritik ein falsches Bewusstsein über die Bedingungen, unter denen Kapitalistische Produktion stattfindet (stattfinden kann) genährt wird. Classless forderte ja auch nicht einen Shutdown, sondern hat kurzschlüsse bzw. idealisierende Perspektiven angegriffen.
    “Die Antwort kann ja wohl nicht sein, dass Wikileaks irgendwie den Kapitalismus optimiert und damit Armut und Hunger verschlimmert.” –> Die Antwort muss das sicher nicht sein. Aber den Kapitalismus zu “optimieren” und dabei Armut und Hunger zu vergrößern, das liegt sehr wohl im Rahmen des Möglichen. Nicht nur für Wikileaks. Die Pressefreiheit, durchaus eine Errungenschaft, hat z.B. tatsächlich auch ihre Integrative Funktion und ihre kapitalistischen Rahmenbedingungen. Soll man das jetzt nicht mehr benennen, weil man in einem Staat ohne freie Presse noch viel weniger gern leben würde?
    Überhaupt will mir nicht wirklich in den Kopf, warum die traurige Gewissheit dass es aus der Scheiße zur Zeit kaum einen Ausweg geben wird ein Grund sein sollte, mit Kritik am nächsten Steckenpferd der Befreiungsunwilligen und ihrer “revolutionären” Sympathiesanten zurückzuhalten.

    Ob Wikileaks die “schlimmsten Symptome” bekämpft, darüber können wir dann vielleicht in den nächsten Wochen trefflich streiten. Angenommen ein Extremfall: Die USA u.A. ziehen sich nach den “Enthüllungen” unter dem Druck der Straße ganz aus Irak und Afghanistan zurück. –> Schlimmes Symptom bekämpft?
    Oder der andere Extremfall: Die Verbindungen des “irakischen Widerstandes” in Iran liefern ausreichend Grund für einen direkten Militärschlag gegen zweiteren. –> Schlimmes Symptom bekämpft? usw.

  23. scott pilgrim Says:

    “Classless forderte ja auch nicht einen Shutdown, sondern hat kurzschlüsse bzw. idealisierende Perspektiven angegriffen.”

    fine with me.

    “Ob Wikileaks die “schlimmsten Symptome” bekämpft, darüber können wir dann vielleicht in den nächsten Wochen trefflich streiten. Angenommen ein Extremfall: Die USA u.A. ziehen sich nach den “Enthüllungen” unter dem Druck der Straße ganz aus Irak und Afghanistan zurück. –> Schlimmes Symptom bekämpft?
    Oder der andere Extremfall: Die Verbindungen des “irakischen Widerstandes” in Iran liefern ausreichend Grund für einen direkten Militärschlag gegen zweiteren. –> Schlimmes Symptom bekämpft? usw.”

    nein, aber ich halte beides, ehrlich gesagt, für recht abwegig.

  24. Cyrano Says:

    Natürlich sind beide Szenarien Abwegig. Deshalb habe ich sie als “Extremfall” bezeichnet. Ich wollte eben das von Classless benannte Problem, dass Transparenz nicht gleichbedeutend ist mit Bekämpfung von Missständen in zwei denkbare Szenarien gießen. Und denkbar sind beide. Das erste weil “Raus aus Afghanistan” schon jetzt ein beliebter Slogan ist, das zweite … nun: guckst du hier:
    http://feuerbringer.com/2010/10/25/andert-wikileaks-meine-meinung/
    Hinzu kommt, das Transparenz natürlich selektive Datenverwertung nicht ausschließt. Bisher scheinen etwa die gegen die USA verwendbaren “Enthüllungen” weit interessanter zu sein als jene, die die Einflüsse des Irans in den jeweiligen Gebieten betreffen. Aber ich habe hierzu natürlich wahrscheinlich selbst selektiv gelesen…

  25. Donauwelle Says:

    @classless – Wenn ich diesen Thread nicht von Anfang an mitgelesen hätte, wäre ich zu dem Eindruck gekommen es ginge um Facebook und die grotesken Ansichten von Mark Zuckerberg, und nicht um Wikileaks. Um die Hierarchien zu knacken muss man sie erst einmal sehen, dafür ist eine bestimmte Transparenz von unten nach oben ebenso unverzichtbar wie eine Transparenz von oben nach unten schädlich ist. Dass sie in ein von der Realität auf ihrem Mutterplaneten total entfremdetes Science-Fiction-Weltbild hineingeboren wurden und da raus wollen ohne dessen Zusammenbruch zum Opfer zu fallen haben die Leute von Wikileaks im übrigen mit dem Unsichtbaren Komitee gemeinsam. Die Transparenz ist dazu da eine Sprache dafür finden zu können was der Staat historisch-moralisch gesehen für ein Übel ist, nicht dazu höchstpersönliche Lebensbereiche der Menschen nocheinmal zu verletzen. Eine selbstbestimmte Transparenz respektiert Parallelpersönlichkeiten und -gesellschaften ebenso sehr wie sie sich Hierarchien und Hegemonien widersetzt. Der Pranger als politische Institution ist abgeschafft, das Transparenzideal leitet sich aus dem gegen den digitalisierten Totalitarismus in Anschlag zu bringenden Autonomieideal ab und nicht umgekehrt. Es geht nicht darum Wikileaks als orientierungslose Revolte aus dem Inneren des Fnordismus zu verwerfen, sondern darum sich gemeinsam darauf vorzubereiten dass die Dämme der Persönlichkeitsrechte halten wenn aus dem Getröpfel ein Tsunami wird. Ein würdiger Umgang mit Beutedaten muss bereits vor der bedingungslosen Kapitulation der Überwachungsstaaten eingeübt sein, damit die Schaffung der Bedingung der Möglichkeit der Lösung des Problems von Armut und Kapitalismus nicht in einer Kultur der Persönlichkeitszerstörung verendet.

    Im Übrigen gibt es ja auch unechte “leaks” mit dem erkennbaren Zweck der Irreführung, wie etwa dieses Beispiel pünktlich zum Besuch des pakistanischen Außenministers in Amiland.

  26. powled Says:

    die diskussion um die transparenz wird dahingehend fast hinfällig, dass die mehrheit der medienkonsumenten nicht persönlich auf wikileaks zugreift, sich direkt anhand der quellen informiert (einschließlich mir, außer es geht um einen film den ich mir dann mal anschaue, wer hat schon lust & zeit seitenlange behördentexte zu wälzen?), sondern über zweit oder drittpersonen. der spiegel und andere “leitmedien” machen die schlagzeilen über die dort veröffentlichten dokumente die dann das massenpublikum mundgerecht erreichen. im zweifelsfall muss dieser happen nicht mal mit dem inhalt der dokumente kongruent sein muss. daraus aber abzuleiten, dass wikileaks den herrschenden in die tasche arbeitet (der kapitalismus effizienter, “das Regelwerk aufgewertet” wird) halte ich für einen fehlschluss.

    how donauwelle said so fine:
    “Die Transparenz ist dazu da eine Sprache dafür finden zu können was der Staat historisch-moralisch gesehen für ein Übel ist, nicht dazu höchstpersönliche Lebensbereiche der Menschen nocheinmal zu verletzen. […] Ein würdiger Umgang mit Beutedaten muss bereits vor der bedingungslosen Kapitulation der Überwachungsstaaten eingeübt sein, damit die Schaffung der Bedingung der Möglichkeit der Lösung des Problems von Armut und Kapitalismus nicht in einer Kultur der Persönlichkeitszerstörung verendet.”

  27. classless Says:

    Der Gedanke ist ungefähr, daß eine Ordnung, die sich selbst als transparent darstellt, die für die Verwertungsoptimierung nötige Transparenz auch einfacher von den Subjekten verlangen kann, selbst wenn es, wie im Fall des jüngsten großen Leaks schon wieder Spezialisten zu bedürfen scheint, die sich wochenlang durch den Datenberg wühlen.

    Aber ich finde die Kritik und auch die zustimmenden Beiträge sehr wertvoll, ich bin ja auch noch dabei, den Vortrag zu konzipieren. Auf jeden Fall wird es nötig und sinnvoll sein, die verschiedenen Perspektiven auf das Thema zu behandeln.

  28. xbg Says:

    @Cyrano:

    Sehe ich nicht ganz so. Natürlich kann man viel spekulieren, wohin was führt. Aber für Aussagen der Form “Personen xyz glauben an den Krokodilgott Offler” sollte man dafür schon ein paar Hinweise mehr bringen können, also dass die Personen xyz auf Grund ihres Mindsets eigentlich an Krokodilgott Offler glauben müssten.

    Wie auch immer. Ich bin jedenfalls gespannt wie die Zusammenhänge begründet werden. Ich sehe das eher als chaotisches System, in dem sich kaum vorhersehen läßt, welche Folgen Transparenz tatsächlich haben wird und in dem Begriffe wie “Stärkung” und “Schwächung” zu eindimensional sind. Aber ich lass mich gerne überraschen.

  29. Arkora Says:

    Wikileaks handelt zumindest, Kulla hält nur mittelmäßige Vorträge, bei denen man ne halbe Stunde warten muss, bis er dem Beamer zum Laufen bekommt.

    Ich warte noch darauf, dass die paar Ex-Leipziper Antideuschen uns endlich den Kommunismus bringen, am besten ohne dass wir danach wieder von finstereren K-Gruppen-Dogmatikern terrorisiert werden. Wenn ich mir euch so anschaue und -höre, dann habe ich bei beidem aber wenig Hoffnung. Und solange ich auf etwas warte, was vermutlich nie eintreten und dann eine Katastrophe wird, kann Wikileaks von mir aus das machen, was Wikileaks sich als Arbeitsfeld ausgesucht hat.

    Und das ist nicht, sich theoretisch und grundsätzlich mit Herrschaft auseinanderzusetzen, auch wenn das natürlich furchtbar und entsetzlich ist. Aber dazu haben wir doch die Kullas und Bozics, zumindest wenn die nicht gerade mit Islam-Bashing, Necon-Schmuserei, Adorno-Folklore oder auf dem Sofa rumhängen beschäftigt sind.

  30. A Says:

    “Kulla hält nur mittelmäßige Vorträge”

    Du übst hier nur flache Kritik – Kulla macht geile Musik, ist bei Demos und Straßenschlachten dabei, schreibt schlaue Bücher und verwahrt sich gegen Islam-Bashing. Und seit wann müssen Vortragende selbst den Beamer zum Laufen bekommen?

  31. paule Says:

    Was macht diese Konferenz eigentlich so interessant, dass man sich mit so viel Energie trotz allem immer wieder darum bemüht? Ist das einfach Traditionsbewusstsein, oder gibt es da wirklich noch Strukturen, an die es sich anzuknüpfen lohnt? Oder ist das einfach eine versuchte eine Intervention, wo man sie für nötig hält? (Die Frage ist ernst gemeint und keine heimlich-blöde Abneigungsbekundung! Ich war da nie und wundere mich nur über die vielen Leute um mich herum, die da gerne irgendwas vortragen wollen und gleichzeitig davon ausgehen, dass ihre Themen eh abgelehnt werden und überhaupt.)

  32. Donauwelle Says:

    @classless – Das ließe sich aber auch andersherum aufzäumen: Die Überwachungstechnologie die heute gegen politische Dissidenten eingesetzt wird, richtet sich morgen auch gegen kommerzielle Mitarbeiter, also sollte jeder der ein Interesse an ehrlicher Arbeit hat auch eines an öffentlicher Freiheit haben.

  33. posiputt Says:

    ich kanns mir leider grade nicht anhoeren, aber passt ja zum thema: http://www.youtube.com/watch?v=0IaC5bsndDI

  34. classless Kulla » Blog Archive » Planung für den Parallelevent zum 27C3 in der c-base Says:

    […] bei der GST jelernt Planung für den Parallelevent zum 27C3 in der c-base November 12th, 2010 Meine Einreichung zum 27. Chaos Communication Congress wurde abgelehnt, und wie im vergangenen Jahr plane ich nun […]

  35. Phatnes Says:

    You have it all backwards. Transparenz als Herrschaftstechnologie ist verknüpft mit der Entwicklung der Informationstechnologie. Sie wird nicht verschwinden indem man sie beschimpft, boykottiert oder exorziert. Sich diese Technologien anzueignenen und sie soweit wie möglich gegen die bestehende Ordnung zu wenden ist der richtige Ansatz. Dass die Betreiber von Wikileaks dabei kein Interesse an einer theoretisch fundierten Systemkritik zeigen ist dabei völlig nebensächlich. Vielleicht hatten sie einfach keine Zeit, Deleuze zu lesen – die Revolution wird daran nicht scheitern. Die Hauptsache ist, dass man Herrschaftstechnologien gegen die Herrschaft wendet. Man sollte solche Projekte unterstützen, kopieren, erweitern, über sie hinausgehen, sie verallgemeinern, statt sie mit einer alles-oder-nichts-Geste zu beschimpfen, die aus dem Mund eines Bloggers besonders albern wirkt.

  36. Wikileaks und Kognitive Dissonanz « Die kulturelle Praxis Says:

    […] war ich bislang bei Kullas Wikileakskritischer Haltung etwas skeptisch – sicherlich zieht soetwas merkwürdige Verschwörungstheoretiker* an und […]

  37. classless Kulla » Blog Archive » Chaos Congress C-Side: The Geek Insurrection Says:

    […] Millionen von Menschen zunächst um die Lebensmittelabteilung des nächstgelegenen Supermarktes.Kompletter Einreichungstext20:00 Dmytri Kleiner: P2P Communism Vs The Client Server State – the political economy of network […]

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