Wie verheerend hundert Jahre Propaganda gewirkt haben

February 15th, 2019

Große Enttäuschung: der YouTube-Kanal The Great War, auf dessen gut recherchierte und aufbereitete Darstellung des Kriegs- und Revolutionsgeschehens im Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie der Zwischenkriegszeit hier schon mehrfach verwiesen wurde, fällt in seiner neuen Folge über den Januar 1919 mit neuer Besetzung weit hinter sich zurück.

Schon die Ankündigung will hier den großen Showdown Spartakus gegen Freikorps aufbauen, und es geht mit den schon verblüffenden Fehlern los, dass die Weihnachtskämpfe 1918 nicht an Heiligabend, sondern am 25.12. stattfinden, “the famous Battle of Christmas Day”, und die USPD danach nicht nur aus der Regierung, dem Rat der Volksbeauftragten, austritt, sondern sich mit anderen zusammentut um die KPD zu bilden.

Am 5. Januar ist die USPD dann plötzlich wieder da, aber auch KPD und Spartakus als verschiedene Gruppen. Diese Konfusion durchzieht die ganze Folge und liefert ein trauriges Beispiel dafür, wie verheerend hundert Jahre Propaganda gewirkt haben. Für Moderator und Rechercheur Jesse Alexander sind Spartakus und KPD zwei im Januar gleichzeitig existierende verschiedene Organisationen, die Uneinigkeit innerhalb der KPD wird zur Uneinigkeit zwischen beiden, und wo er über die Unstimmigkeiten stolpert, sagt er: “This is puzzling for historians”. Er wundert sich nämlich laut darüber, warum Luxemburg in der Roten Fahne, die für ihn im Januar immer noch die Zeitung des Spartakusbunds (und nicht der KPD) ist, nach dem Zusammenbruch des Generalstreiks weiter für die Revolution trommelt, obwohl sie gerade Tage zuvor die Position der KPD mit erarbeitet hat, der es zwar auch um die Machtübernahme, aber nur mit der Unterstützung der Massen gegangen sei. Zu sehen ist währenddessen eine Rote Fahne aus dem November 1918, als sie noch vom Spartakusbund herausgegeben wurde.

Tatsächlich wurde zum Jahreswechsel 1918/19 die KPD gegründet, und der Spartakusbund ging in ihr komplett auf. Und tatsächlich waren die Positionen zu Wahlboykott und Aufstand in der Anfangsphase der KPD nicht nur heftig umstritten, sondern auch im Fluss – Luxemburg war erst skeptisch, ob der Januaraufstand sich tatsächlich auf die Massen stützen kann, ließ sich dann von den Hunderttausenden auf den Straßen umstimmen, um schließlich nach Abebben der Proteste und des Generalstreiks trotzdem an der Fortsetzung des Kampfes festzuhalten (und sich nicht in Sicherheit zu bringen).

So sieht das Bild also aus, wenn es um den Minderheitenputsch und nicht um den Massenaufstand gehen soll, wenn die USPD und die Räte mit ihrem Aufruf zur Verteidigung der Revolution (also praktisch immer noch des SPD-Parteiprogramms: Demokratie und Sozialisierung) eigentlich nicht mehr vorkommen dürfen, wenn die KPD in die Ecke gestellt werden muss, wenn auch vor allem die Freikorps (die in dieser Folge wie in vielen anderen Darstellungen viel zu früh schon in der Stadt gewesen sein sollen) und weniger die Regierung und ihre Truppen für den Terror verantwortlich sein sollen, wenn es um eine Art naturwüchsigen Konflikt zwischen extremer Linker und Rechter gegangen und kein Geld im Spiel gewesen sein soll – es werden als Stimmungsbild lauter Plakate der kapitalgestützten völkisch-antisemitischen Antibolschewistischen Liga gezeigt, ohne die Quelle zu nennen.

Passenderweise endet die Folge (nach teilweise instruktiven Ausflügen in die Demobilisierung der Truppen und andere revolutionäre und nationalistische Konflikte im Januar 1919) mit einem martialischen Zitat von Friedrich Wilhelm Heinz (“…der Krieg, das waren wir selbst. Seine Flamme brannte in uns fort…”), der hier ohne weitere Erklärung einfach als Freikorps-Kämpfer vorgestellt wird, praktisch aber sowohl am Kapp-Lüttwitz-Putsch, am Terror der Organisation Consul und am Hitler-Ludendorff-Putsch beteiligt war, später zum Strasser-Flügel der NSDAP stieß und nach dem Zweiten Weltkrieg in der BRD kurzzeitig einen eigenen Geheimdienst aufbaute.

The Great War ist nach Selbstauskunft immer noch “der einzige Youtube-Kanal, der weiß, wo es die revolutionärste Currywurst in Berlin gibt”, aber die bisher (bei allen Differenzen in Details und Beurteilung) stimmige Darstellung von Revolution und Konterrevolution scheint ihnen abhanden gekommen zu sein…

Alle Postings zur Revolution: Revolution in Deutschland 1918-23.

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