Revolution und Konterrevolution im Februar 1919

February 20th, 2019

Streik- und Sozialisierungsbewegung im Ruhrgebiet und im Mitteldeutschen Braunkohle- und Industrierevier – die direkte Vorgeschichte der Massaker der Regierungstruppen ab März 1919

Im Februar 1919 streikten 180.000 Bergleute im Ruhrgebiet für eine sofortige “Sozialisierung von unten”, das waren schon dreimal so viele wie in der ersten großen Streikwelle zum Jahreswechsel. “Als der Streik sich am 20. Februar auf seinem Höhepunkt befand, kam es in Bottrop zu einem blutigen Gefecht zwischen konterrevolutionären Volkswehreinheiten und einem größeren Kontingent bewaffneter Arbeiter, die vor allem aus Hamborn, Mülheim und Düsseldorf stammten. Unter großen Verlusten gelang es den Streikenden, die Stadt einzunehmen und den Vormarsch der Freikorps am Ufer der Boye zu stoppen.” (Bluhm:120)

Eigenmächtige Verhandlungen der USPD-Führung und Rätedelegierten ohne Rücksprache mit der stark selbstorganisierten und syndikalistisch geprägten Basis führten zum Abbruch des Generalstreiks, zu Waffenabgabe, besonders schwerwiegend auch der Geschütze. Die Freikorps sollten sich zurückziehen, blieben aber und besetzten Bottrop, dann Sterkrade. Am 26./27.2. griffen Regierungstruppen und SPD-geführte “Bürgerwehr” das Aufstandszentrum Hamborn an, 90 Gefangene wurden deportiert und der Belagerungszustand wurde ausgerufen. “Die Regierungstruppen versuchten durch massive Verhaftungen die Bewegung zu enthaupten und die politische Führung auszuschalten (…) Auf die Handlungsfähigkeit der Bergleute hatte das allerdings nicht den geringsten Einfluss. (…) Die sozialen Beziehungen und das Kommunikationsnetz der Bergleute waren so engmaschig, dass sie selbst in dieser Situation extremen äußeren Drucks standhielten. (…) Auch das Versammlungsverbot lief ins Leere – die Bergleute waren nicht auf öffentliche Treffen angewiesen, um sich auf ein gemeinsames Handeln zu verständigen.” (Bluhm:125) Anhaltende Streiks in Hamborn erzwingen schließlich die Freilassung und Rückkehr der Gefangenen sowie den Abzug der Truppen.

“Unmittelbar nach der militärischen Besetzung des Ruhrgebiets legte die Regierung der Nationalversammlung zwei Sozialisierungsgesetze vor, die noch im März verabschiedet wurden. (…) Weder eine Änderung der Eigentumsverhältnisse noch der betrieblichen Strukturen war vorgesehen. Die Regierung verkündete die Gesetze in Zeitungsanzeigen und auf Flugblättern unter dem Titel ‘Die Sozialisierung ist da!‘” (Bluhm:126) Bereits am 6. Februar hatte Friedrich Ebert in seiner Eröffnungsrede des neu gewählten Parlaments “die Vergesellschaftung der dafür reifen Betriebe” versprochen. (Gietinger:138) Die Nationalversammlung, “die aus Furcht vor der Basisdemokratie der Arbeiter- und Soldatenräte aus Berlin gewichen war”, tagte in Weimar, wo Anfang Februar Noske-Truppen einmarschierten, um sie “stramm militärisch-reaktionär zu sichern, was zu großer Empörung führte”. (Gietinger:144)

Als die Freikorps am 17. Februar in Gotha einrückten, kam es zum Generalstreik und die Truppen mussten wieder abziehen. Bei der Landtagswahl in Sachsen am 23. Februar erhielt die USPD die absolute Mehrheit. Doch die Entscheidung wurde nun in den Betrieben und auf den Straßen gesucht: “Ausgehend vom mitteldeutschen Braunkohlerevier entwickelt sich Mitte Februar 1919 ein politischer Generalstreik, der sich zu einer neuen unkoordinierten Aktionswelle über weite Teile des Deutschen Reiches auszuweiten droht.” Es ging konkret darum, der Nationalversammlung entgegenzutreten und mit der sofortigen Sozialisierung dem Hunger und der Not zu begegnen: “Auch wenn keine klaren Vorstellungen darüber herrschen, wie eine solche Vergesellschaftung genau aussehen soll, sehen darin viele einen Schritt in Richtung Sozialismus und damit aus ihrer sozialen Not.” (Langer:331)

Der Generalstreik in der Region um Halle und Leipzig begann am 26. Februar und dauerte bis 7. März. “Die Forderungen waren u.a. die Einführung der gesetzlichen Verankerung der Arbeiterräte, Betriebskontrolle durch die Arbeiterräte als Vorstufe der Sozialisierung und der Rücktritt der ‘bürgerlich-rechtssozialistischen Regierung’.” (Gietinger:143) “Besondere Brisanz gewann der Ausstand dadurch, daß sich ihm bereits am 25. Februar auch Eisenbahner und Verkehrsarbeiter und die Beschäftigten des Kraftwerks Zschornewitz, das Strom für Berlin lieferte, anschlossen. Damit wurden die Verbindungen der Weimarer Nationalversammlung nach Berlin unterbrochen und Berlin selbst in Mitleidenschaft gezogen. Vereinzelt traten auch Landarbeiter in den Streik ein.” (Schumann:55)

Während Teile der Regierung angesichts der Ausmaße der Streikbewegungen nun bereit waren, eine stärkere USPD-Repräsentation zuzulassen, die Räte aufzuwerten und mit der Sozialisierung ernstzumachen (Lange:127f.), wollte die SPD-Führung um Ebert, Scheidemann und Noske das Rätesystem endgültig entmachten und traf dafür die militärischen Vorbereitungen: “Während sich die Landesjäger mit 3.000 Mann auf den Weg machen, um den Streik in Mitteldeutschland zu ersticken, zieht General Lüttwitz 42.000 Soldaten um Berlin zusammen.” (Langer:338)

Von März bis Mai 1919 werden die Regierungstruppen dann fast überall im Reich im Blut waten.


Anzeigenseite im SPD-Zentralorgan “Vorwärts” vom 23. Februar 1919

***

Literatur:

  • Felix Bluhm: “Die Massen sind aber nicht zu halten gewesen”. Zur Streik- und Sozialisierungsbewegung im Ruhrgebiet 1918/19, Münster 2014
  • Klaus Gietinger: November 1918. Der verpasste Frühling des 20. Jahrhunderts, Hamburg 2018
  • Bernd Langer: Deutschland 1918/19. Die Flamme der Revolution, Münster 2018
  • Dirk Schumann: Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918-1933, Essen 2001
  • Dietmar Lange: Massenstreik und Schießbefehl, Generalstreik und Märzkämpfe in Berlin 1919, Münster 2012
  • Alle Postings zur Revolution: Revolution in Deutschland 1918-23.

    Leave a Reply

    2MWW4N64EB9P