März 1919 in Berlin, Teil 1: Basis erzwingt Generalstreik
March 3rd, 2019Am 3. März 1919 beginnt in Berlin der Generalstreik. Getragen von den Räten, Gewerkschaften und der Angestelltenvereinigung sowie der Basis aller linken Parteien werden etwa eine Million Arbeitskräfte in den Streik treten. Hauptforderungen: Demokratisierung des Militärs, Beendigung von Repression und Terror, vor allem aber Anerkennung und verfassungsmäßige Einbindung der Räte, welche wiederum als Hauptmittel zur Durchsetzung der “Sozialisierung”, also der Vergesellschaftung der Bergwerke und großen Industriebetriebe, angesehen werden. Es ist ein politischer Streik, es gibt keine Aussicht auf Streikgeld, die Forderungen erscheinen den Streikenden als wichtig genug. Es ist nach dem November der bis hierhin entscheidende Moment der Revolution, der Versuch, ihre sozialen Hauptforderungen endlich durchzusetzen.
Wie in den Streiks im Ruhrgebiet, in Oberschlesien und Mitteldeutschland geht die Initiative von unten aus, kommt aus den Betrieben und von der Basis der Organisationen. Die Belegschaft der AEG in Hennigsdorf drängt etwa schon seit Ende Januar auf den Streik. Eine Delegation aus dem Betrieb schildert: “Unsere Arbeiterschaft ist nicht mehr zu halten.” Ende Februar bekräftigen sie parteiübergreifend die Forderung nach einem Generalstreik: “Es heißt sonst, wir können uns über die Köpfe der Führer hinweg einigen, so können wir uns auch über die Köpfe des Vollzugsrates hinweg verbrüdern”.
Schwartzkopff-Belegschaft demonstriert im Januar 1919
Anders als im Mitteldeutschen Streik ist die Führung im Ruhrgebiet und auch nun in Berlin nämlich uneins. Während in Halle und Leipzig, in Sachsen und Thüringen insgesamt die USPD stark genug ist um einen verbindlichen Generalstreik zu organisieren, muss anderswo die (wie schon geschildert) tief gespaltene SPD mit einbezogen werden, was sich wiederum auch auf die Haltung der USPD mit auswirkt. Deren Führung und damit die Streikleitung ist eigentlich nicht für den Streik, will zunächst einen neuen Reichsrätekongress organisieren. Richard Müller, direkt nach der Revolution im November als Vorsitzender des Vollzugsrates der Räte formal das Staatsoberhaupt der Deutschen Sozialistischen Republik (der kurze geschichtliche Moment zwischen 1871 und 1943/45, als das Land nicht das Deutsche Reich war), ist nun immer noch als Vorsitzender des Vollzugsrates auch Führer der Streikleitung – und gegen den Streik, den er dennoch organisiert.
Die Basis hat die Entscheidung ohnehin vorweggenommen. Nicht nur haben sich bereits zahllose Belegschaften in Berlin und seinen Vorstädten Ende Februar für eine Entwaffnung der Freikorps, ein Ende der politischen Morde, die Stärkung der Räte und die Sozialisierung ausgesprochen und zu diesem Zweck immer lauter nach einem Streik im Zusammenwirken mit den bereits laufenden Streiks im Rest des Landes gerufen. Auch am Morgen des 3. März treten bereits Dutzende Betriebe, darunter einige der größten Berlins, in den Streik, bevor die Räte-Vollversammlung darüber abstimmt. Dort ist die USPD seit den Neuwahlen am 28. Februar die stärkste Partei, hat zusammen mit der KPD eine klare Mehrheit, und das Votum für den Streikbeschluss ist deutlich. (Über das Abstimmungsverhalten der SPD gibt es widersprüchliche Angaben: USPD-nahe Quellen sprechen von ihrer überwiegenden Zustimmung, der Vorwärts von überwiegender Enthaltung.)
DEFA-Nachempfindung des Generalstreiks 1920
Während am Montag teilweise noch der Rätebeschluss abgewartet wird, setzt im Laufe des Dienstags (4. März) der Streik mit voller Wucht ein, auch der Straßenbahnverkehr kommt zum Erliegen. Was zusammen mit den übrigen Streiks im Land als vorläufiger Höhepunkt der Mobilisierung der Arbeitskräfte und als deutliches Verlangen nach einer Vollendung der Revolution gelten kann, löst umgehend die vorbereiteten Gegenmaßnahmen der SPD-geführten Reichsregierung aus.
Noch am 3. März wird vom preußischen Staatsministerium über Berlin der Belagerungszustand verhängt und tags darauf beginnen – politisch geführt durch Noske und militärisch durch General von Lüttwitz – die Freikorps Lützow und Hülsen, die Deutsche Schutzdivision, die Brigade Reinhard und die Garde-Kavallerie-Schützendivision (unter Führung von Waldemar Pabst) mit dem Einmarsch in die Stadt. Sie führen 120 von Noske vorbereitete Haftbefehle mit sich, zerstören sofort die Presse der USPD und KPD, feuern am Bülowplatz (heute: Rosa-Luxemburg-Platz) in eine Menschenmenge und gehen zum geplanten Vernichtungsschlag gegen die revolutionäre Bewegung über.
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