Märzkämpfe Teil V – 19. März: Polizei marschiert in Mitteldeutschland ein

March 19th, 2021

Am Samstag, dem 19. März 1921, marschieren mehrere Hundertschaften der Schutzpolizei mit Maschinengewehren, Panzerwagen und acht Tagen Verpflegung in die kommunistischen Hochburgen im Mansfelder Land und um Leuna ein. Schon vorm Weltkrieg sind Polizeitruppen im Oktober 1909 ins Mansfelder Revier eingerückt um Streiks und Aufruhr zu unterbinden, seit den in der Region heftigen Kämpfen im März 1920 (“Schlacht um Halle”) ist das Gebiet nicht zur Ruhe gekommen.

Um nun den Vorwand der Kriminalitätsbekämpfung (siehe Teil III) aufrechtzuerhalten sollen die Truppen das Gebiet zunächst besetzen und durch Patrouillen Präsenz zeigen um bewaffnete Arbeiter zu Angriffen zu provozieren und sie so entwaffnen zu können. Erst nach Einsetzen des erwarteten Generalstreiks zu Wochenbeginn soll in die Offensive gegangen werden. Der im westlichen Teil der Aktion (“Kohlensache”) kommandierende Polizeimajor Folte ordnet in Hettstedt die Absetzung des USPD-Bürgermeisters Rosenberg an, der dagegen protestiert, wie in Eisleben die Truppen in Schulen unterzubringen. Im östlichen Operationsgebiet (“Frühjahrsreise”) werden Schafstedt, Teutschenthal, Ammendorf und Merseburg, am 21. März Mücheln, Laucha und Nebra besetzt, am 22. schließlich Schraplau. Befehlshaber Polizeimajor Fendel-Sartorius quartiert sich im Merseburger Schloss ein. Bis zum 21. März kommt Verstärkung aus Berlin dazu, insgesamt sind mehr als 1000 Polizisten im Einsatz.

Am 18. März folgt die kommunistische Mansfelder Volkszeitung der allgemeinen Stimmung unter den Arbeitern der Region und ruft als Antwort auf den bevorstehenden Polizeieinmarsch zu Streik und Besonnenheit auf. Die Bezirksausschuss-Sitzung der VKPD in Halle beschließt nun am 19. März erst mit dem weitergefasstem Kalkül der neuen Parteiführung, Mitteldeutschland als Reserve für den großen Aufstand zurückzuhalten, gleichzeitig Terror zur “Steigerung” der revolutionären Stimmung einzusetzen, dann bricht dort wegen der Nachricht vom Einmarsch Euphorie aus und es wird mit Betriebsbesetzungen durch die Polizei gerechnet. Während die VKPD-Bezirksleitung vor “übereilten Schritten” warnt und “Eigenmächtigkeiten” der illegalen Parteiorganisation MP (Militärpolitischer Apparat) vorbeugen will, rechnet diese mit größeren Reserven an Waffen und Kampfbereitschaft in Mitteldeutschland. Die Oberkampfleitung in Leipzig (Guralski) will mit dem MP einen rein militärisch geplanten Aufstand durchführen, es bedürfe “künstlicher Mittel”. An die KPD in Chemnitz werden generalstandsmäßige Anweisungen gesendet. Auch der Abgesandte der Parteizentrale Hugo Eberlein will die MP nutzen, für fingierte Entführungen und False-flag-Anschläge.

Die SPD-Presse dreht ab 20. März voll auf und schreibt etwa in Anspielung auf die Kapp-Putschtruppen: “Wie einst die Marburger Mordjünglinge johlten: ‘Die Anatomie braucht Leichen’, so gilt jetzt bei der VKPD die Losung: ‘Moskau braucht Leichen, damit wir neuen Agitationsstoff haben.'”

Im Operationsgebiet der Polizei selbst treffen die Truppen auf Ablehnung. Geschäfte schließen oder weigern sich an die Schupos zu verkaufen, Gaststätten schenken ihnen nicht aus. Der Großteil der Bevölkerung bis hinauf zu vielen Bürgermeistern verlangt den sofortigen Abzug der Polizei. Der Kreistag des Mansfelder Gebirgskreises protestiert am 19. März gegen den Einmarsch und fordert, statt der Arbeiter die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

In der Samstagnacht vom 19. auf den 20. März wählt bei Eisleben eine geheime VKPD-Parteikonferenz mit 200 Funktionären, Betriebsräten und Gewerkschaftsvertretern einen Aktionsausschuss und beschließt für Montag den 21. März den Streik für den Unterbezirk. Der Aufruf wird in der Mansfelder Volkszeitung veröffentlicht, die Schupo beschlagnahmt 4200 Exemplare, der Aufruf verbreitet sich trotzdem und wird befolgt. Trotz unternehmensseitiger Drohung mit Entlassung bei mehr als 3 Tagen Beteiligung am Streik weitet sich dieser aus. Am 22. März sind zwei Drittel der Arbeitskräfte, darunter auch viele Landarbeiter, im Operationsgebiet der Polizei im Streik, das Erscheinen der MVZ wird unterbunden.

Auch Leuna streikt ab 21. März, 12000 Arbeitskräfte beteiligen sich an einer Protestversammlung, ein Aktionsausschuss wird gewählt, Forderungen werden aufgestellt: Abzug der Polizei, Entwaffnung der konterrevolutionären Truppen, Bewaffnung der Arbeiter, Streik bei Werksbesetzung. Hier ist die KAPD besonders stark, ihre Versammlung am 18. März mobilisiert schon 4-5000 Teilnehmer. Ihr bekanntester Vertreter Max Hoelz, der für den weiteren Verlauf der Ereignisse noch wichtig wird, aber erst in der Nacht vom 21. auf den 22. März aus Berlin eintrifft, hat bereits 1919 in Leuna agitiert.

Gleich am 19. ist jedoch Karl Plättner vor Ort, der andere bekannte KAPD-Kopf, dessen Leben soviel Revolutions- und Regionalgeschichte enthält, dass es hier zumindest kurz umrissen sei. Plättner wird als Jugendlicher im Eisenhüttenwerk Thale sozialistisch politisiert, im Ersten Weltkrieg als “Seele der radikalen Jugendbewegung” (Hamburger Polizeipräsident Stürken) inhaftiert, seine auf den 20. November 1918 angesetzte Hauptverhandlung fällt wegen der Revolution aus. Ende November wieder in Thale kann er nicht verhindern, dass Arbeiter ihre Waffen abgeben.

Er ist bei der Gründung der KPD zum Jahreswechsel anwesend, beteiligt sich im Januar 1919 aktionistisch und übereifrig an der Bremer Räterepublik, lebt hinterher wieder in der Illegalität, ist im März bei den Kämpfen in Berlin, danach Wanderredner in Mitteldeutschland, schreibt lyrisch-pathetische Erklärungen gegen Gewerkschaften und Parlament, für Räteherrschaft, die “sofortige Bewaffnung des Proletariats”, die Zerschlagung der “Polizei der schwarz-weiß-roten Reaktion”, für die Sozialisierung der Produktionsmittel und des Grundbesitzes, führt Mitte April nach einem Vortrag in Aschersleben einen lokalen Putschversuch an, wird im September in Halle verhaftet und kann im Dezember fliehen.

Plättner gründet 1920 die KAPD mit, viele KPDler in Magdeburg und Halle folgen ihm. Er ist innerhalb der Partei gegen syndikalistiche, nationalbolschewistische und antisowjetische Fraktionen. Die KAPD ist zwar wie die VKPD vom Polizeieinmarsch überrascht, aber besser vorbereitet, Plättner eilt sofort am 19. März von Leipzig nach Halle um eine Versammlung der KAPD zum bewaffneten Aufstand aufzurufen, ist in Hettstedt vom Tempo der Mobilisierung ernüchtert, agitiert für den Streik, Entwaffnung der Schupo und Übernahme der Betriebe, will die Schupo notfalls reizen um “den Stein ins Rollen zu bringen”.

Ein Flugblatt der KAPD und ihrer Betriebsorganisation AAU verlangt Anfang der Woche unverzüglich Generalstreik in Mitteldeutschland und die Ersetzung aller Betriebsräte durch Aktionsausschüsse. Die VKPD (Oelßner) geht auf Distanz, es gibt Stimmen für Abbruch der Aktion, die Mittel scheinen für die Ziele nicht zu genügen, doch Eberlein beharrt im Auftrag der Parteizentrale auf Fortführung, “Steigerung”. Am 21.März wird eine kommunistische Nachrichtenstelle in der Reilstraße 84 in Halle eingerichtet, die militärische Oberleitung sitzt um die Ecke in der Körnerstraße 32. Am 22. März spricht Max Hoelz vor Tausenden in Eisleben und beginnt sofort Kämpfer anzuwerben.

Trotz relativ schwacher KPD-Kundgebungen in Hamburg am 6. und 15. März sind etwa Thälmann und Urbahns für das “Offensivkonzept” der neuen Parteiführung. Die Vorbereitungen der Märzaktion beginnen im Hamburg am 19.3. nach einer Zentralausschuss-Sitzung, Hamburger Volkszeitung und Rote Fahne rufen auf, der Vorstand des Ortsvereins beschließt für den 23. März eine Kundgebung auf dem Heiligengeistfeld sowie Aktionen um für Erwerbslose Einstellung in den Werften zu erzwingen.

Arbeitslose gelten im “Offensivkonzept” als “besonders revolutionär” und werden als Provokationsmasse gesehen. Am 20.März stimmt der kommunistisch dominierte Arbeitslosenrat den Aktionen zu, ohne jedoch über den Gesamtplan im Bilde zu sein. Eine geheime VKPD-Sitzung am 21. März abends hofft auf mindestens 9000 Erwerbslose zum “Vorschieben”, Belegschaftsversammlungen auf den Werften fordern die Einstellung der Arbeitslosen. Die Gewerkschaft mauert, die SPD spottet am 19. März im Hamburger Echo, warnt am 21. und wendet sich am 22. dann offen gegen die kommunistischen Vorhaben.

Im Ruhrgebiet herrscht seit dem 11. März Empörung über die zentrale Entscheidung, statt der lange geforderten kürzeren Schichten nun mehrere Überstunden pro Woche schieben zu müssen. Die KPD in Rheinland-Westfalen hat am 21. und 22. März noch keine Ambitionen, in diesen sich noch entfaltenden Konflikt die Forderung nach Unterstützung für Mitteldeutschland hineinzutragen. Das wird sich innerhalb von wenigen Tagen ändern.


Karl Plättner wurde auch durch das Ende des Zweiten Weltkriegs befreit, nach Mauthausen, Buchenwald und Auschwitz nun aus dem KZ Ebensee im Salzkammergut. Einen guten Überblick über sein Leben gibt die Biographie “Der ruhelose Rebell” von Volker Ullrich.

Am Sonntag (21. März) wird das Denkmal für die Märzgefallenen in Schraplau nach aufwendiger Instandsetzung wieder eröffnet.


Märzkämpfe 1921, Teil I – 20. Februar, Kommunistischer Wahlerfolg in Mitteldeutschland
Märzkämpfe 1921, Teil II – 24. Februar, VKPD-Führung legt Ämter nieder
Märzkämpfe 1921, Teil III – 1. März: Kriminalisierung von Armut und Widerstand
Märzkämpfe 1921, Teil IV – 13. März, Vereitelter Anschlag auf die Siegessäule
Übersicht über die bisherigen Postings zur Revolution in Deutschland 1918-23

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