1923 beginnt: 15. März – Linksrutsch in Sachsen, “Arbeiterregierung” gegen den Faschismus

March 15th, 2023

Am 15. März 1923 bereiten SPD und KPD in Sachsen eine “Arbeiterregierung” vor, eine sozialdemokratische Minderheitsregierung mit kommunistischer Tolerierung, die am 21. März mit der Wahl des linken Sozialdemokraten und späteren Leipziger Oberbürgermeisters Erich Zeigner zum sächsischen Ministerpräsidenten Wirklichkeit wird.

Eine Siebener-Kommission erarbeitet “Richtlinien von SPD und KPD für die künftige Politik in Sachsen”, welche die Grundlage des Tolerierungsabkommens vom 18. März bildet. Programmatische Hauptpunkte sind die Arbeiter-Einheitsfront und bewaffnete Abwehrmaßnahmen gegen den Faschismus, Bekämpfung von Preistreiberei durch Einrichtung von Prüfstellen, Bildung von Arbeiterkammern und Amnestie für politische, Not-und Abtreibungsdelikte.

Die beiden Parteien arbeiten nun auf Regierungsebene so zusammen wie außerhalb des Parlaments, besonders in den Betriebsräten, und wollen mit “neuen Leuten” die bereits eingeleiten Reformen in Wirtschafts-, Arbeits-, Gemeinde- und Schulpolitik sowie bei der republikanischen Umgestaltung von Verwaltung, Justiz und Polizei konsequenter fortführen. Das soll auch helfen, die im Verlauf der Revolution aufgerissenen Gräben in der sächsischen Arbeiterbewegung zu überbrücken.

So wird Innenminister Richard Lipinski, der Leipzig im März 1920 ohne Not an die Reichswehr übergab, durch Hermann Liebmann ersetzt, mit seiner Mischung aus der Bodenständigkeit eines Gussformers und dem revolutionären Pathos eines LVZ-Redakteurs der “Liebling der Partei”, zu Beginn der Revolution 1918 im Leipziger Arbeiter- und Soldatenrat, seit 1922 aus der USPD zurückgekehrt und wichtige Stimme des folgenden Linksrutschs in der SPD, nun im Landtag maßgeblich an der Konstituierung der “proletarischen Mehrheit” beteiligt.

Ähnliches wie in Sachsen wird in den nächsten Monaten auch in Thüringen passieren: “Arbeiterregierung” und Bewaffnung der Arbeitskräfte. Das Interesse an revolutionärer Bewaffnung und das Interesse an antifaschistischer Bewaffnung fallen mehr und mehr zusammen. In Italien ist der Faschismus bereits an der Macht, in der “Ordnungszelle” Bayern formiert er sich rapide vor allem aus denen, die in den letzten Jahren die Revolution zusammengeschossen haben – und denen, die sie dabei anfeuerten und begünstigten. Ebenfalls am 15. März bestätigt der Staatsgerichtshof das Verbot der NSDAP in Preußen, Baden, Sachsen, Bremen und Hamburg – in Bayern wird die NSDAP hingegen nicht verboten.

Als in den Tagen nach dem Urteil die SA mobilisiert, bis einer ihrer Anführer, Gerhard Roßbach, in der Nacht vom 17. zum 18. März in Berlin verhaftet wird, demonstrieren auch sozialdemokratische Selbstschutzverbände. Die Proletarischen Hundertschaften in Sachsen wollen gegen den heraufmarschierenden Faschismus von der “Arbeiterregierung” bewaffnet werden und hoffen ihrerseits, diese Gelegenheit für einen letzten Anlauf zur Revolution nutzen zu können – auch die Komintern verfolgt jetzt diesen Kurs, auch wenn auf ihrem Kongress in Frankfurt/Main vom 18. bis 20. März das Exekutivkomittee darauf besteht, dass der aktuelle Hauptfeind der französische Imperialismus sei und nur die Kommunistischen Parteien in Frankreich und Deutschland bisher ihrer diesbezüglichen Pflicht nachgekommen seien.

Durch ein Attentat wird in Köln am 17. März Franz Joseph Smeets, Begründer und Vorsitzender der separatistischen Rheinisch-republikanischen Volkspartei, lebensgefährlich verletzt, vermutlich vom Widerstand gegen die französische Besatzungsmacht, welche den Separatismus unterstützt. Am 18. März wird ein französischer Soldat im Essener Hauptbahnhof erschossen. Die Besatzungsbehörde verhaftet daraufhin Bankdirektoren als Geiseln, schließlich erschießt ein französischer Soldat einen nichtverdächtigen Buchdruckereibesitzer.

Am gleichen Tag spricht Reichspräsident Ebert in Hamm vor Vertretern von Gewerkschaften und “Arbeitgeberverbänden” Dank für den geleisteten passiven Widerstand gegen die Besetzung des Ruhrgebiets aus. Der Parteivorstand der SPD warnt in einer Erklärung davor, “den kommunistischen Gimpelfängern zu folgen”, im Interesse “der Partei und der Einheit der Arbeiterbewegung” lehnt er “gerade jetzt entschiedener denn je ein Zusammengehen mit den Kommunisten ab.”

links: Hermann Liebmann, rechts: Erich Zeigner

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