• VERSCHOBEN! Sa, 14.01.2023, Frankfurt/Main, Klapperfeld: Vortrag “Die Hüftbewegung – Was uns zu Menschen machte” und Auflegerei • So, 26.02.2023, Halle, Falle: Vortrag “Sin Patrón – Arbeitsplätze selber schaffen” • Do, 20.04.2023, Cottbus, Zelig: Vortrag “Klassenkampf? ‘Sch mach glei mit!” • Do, 25.05.2023, Eisenach, IG Metall: Vortrag “Über alles – Burschenschaften zwischen bürgerlicher Revolution und Konterrevolution, Faschismus und konservativem Karrierenetzwerk” (Kritische Infoveranstaltung gegen den Burschenschaftstag) • Sa/So, 27./28.05.2023, Doksy, Pfingstcamp: Vortrag “1923 – Das Ende der Revolution” und Feierabendeinstieg “Leben im Rausch. Evolution, Geschichte, Aufstand”
Wer noch mehr aushecken will oder sich daheim die Slides und Materialien anschauen, findet hier mein aktuelles Programm, das laufend weiter aktualisiert wird.
Am 15. März 1923 bereiten SPD und KPD in Sachsen eine “Arbeiterregierung” vor, eine sozialdemokratische Minderheitsregierung mit kommunistischer Tolerierung, die am 21. März mit der Wahl des linken Sozialdemokraten und späteren Leipziger Oberbürgermeisters Erich Zeigner zum sächsischen Ministerpräsidenten Wirklichkeit wird.
Eine Siebener-Kommission erarbeitet “Richtlinien von SPD und KPD für die künftige Politik in Sachsen”, welche die Grundlage des Tolerierungsabkommens vom 18. März bildet. Programmatische Hauptpunkte sind die Arbeiter-Einheitsfront und bewaffnete Abwehrmaßnahmen gegen den Faschismus, Bekämpfung von Preistreiberei durch Einrichtung von Prüfstellen, Bildung von Arbeiterkammern und Amnestie für politische, Not-und Abtreibungsdelikte.
Die beiden Parteien arbeiten nun auf Regierungsebene so zusammen wie außerhalb des Parlaments, besonders in den Betriebsräten, und wollen mit “neuen Leuten” die bereits eingeleiten Reformen in Wirtschafts-, Arbeits-, Gemeinde- und Schulpolitik sowie bei der republikanischen Umgestaltung von Verwaltung, Justiz und Polizei konsequenter fortführen. Das soll auch helfen, die im Verlauf der Revolution aufgerissenen Gräben in der sächsischen Arbeiterbewegung zu überbrücken.
So wird Innenminister Richard Lipinski, der Leipzig im März 1920 ohne Not an die Reichswehr übergab, durch Hermann Liebmann ersetzt, mit seiner Mischung aus der Bodenständigkeit eines Gussformers und dem revolutionären Pathos eines LVZ-Redakteurs der “Liebling der Partei”, zu Beginn der Revolution 1918 im Leipziger Arbeiter- und Soldatenrat, seit 1922 aus der USPD zurückgekehrt und wichtige Stimme des folgenden Linksrutschs in der SPD, nun im Landtag maßgeblich an der Konstituierung der “proletarischen Mehrheit” beteiligt.
Ähnliches wie in Sachsen wird in den nächsten Monaten auch in Thüringen passieren: “Arbeiterregierung” und Bewaffnung der Arbeitskräfte. Das Interesse an revolutionärer Bewaffnung und das Interesse an antifaschistischer Bewaffnung fallen mehr und mehr zusammen. In Italien ist der Faschismus bereits an der Macht, in der “Ordnungszelle”Bayern formiert er sich rapide vor allem aus denen, die in den letzten Jahren die Revolution zusammengeschossen haben – und denen, die sie dabei anfeuerten und begünstigten. Ebenfalls am 15. März bestätigt der Staatsgerichtshof das Verbot der NSDAP in Preußen, Baden, Sachsen, Bremen und Hamburg – in Bayern wird die NSDAP hingegen nicht verboten.
Als in den Tagen nach dem Urteil die SA mobilisiert, bis einer ihrer Anführer, Gerhard Roßbach, in der Nacht vom 17. zum 18. März in Berlin verhaftet wird, demonstrieren auch sozialdemokratische Selbstschutzverbände. Die Proletarischen Hundertschaften in Sachsen wollen gegen den heraufmarschierenden Faschismus von der “Arbeiterregierung” bewaffnet werden und hoffen ihrerseits, diese Gelegenheit für einen letzten Anlauf zur Revolution nutzen zu können – auch die Komintern verfolgt jetzt diesen Kurs, auch wenn auf ihrem Kongress in Frankfurt/Main vom 18. bis 20. März das Exekutivkomittee darauf besteht, dass der aktuelle Hauptfeind der französische Imperialismus sei und nur die Kommunistischen Parteien in Frankreich und Deutschland bisher ihrer diesbezüglichen Pflicht nachgekommen seien.
Durch ein Attentat wird in Köln am 17. März Franz Joseph Smeets, Begründer und Vorsitzender der separatistischen Rheinisch-republikanischen Volkspartei, lebensgefährlich verletzt, vermutlich vom Widerstand gegen die französische Besatzungsmacht, welche den Separatismus unterstützt. Am 18. März wird ein französischer Soldat im Essener Hauptbahnhof erschossen. Die Besatzungsbehörde verhaftet daraufhin Bankdirektoren als Geiseln, schließlich erschießt ein französischer Soldat einen nichtverdächtigen Buchdruckereibesitzer.
Am gleichen Tag spricht Reichspräsident Ebert in Hamm vor Vertretern von Gewerkschaften und “Arbeitgeberverbänden” Dank für den geleisteten passiven Widerstand gegen die Besetzung des Ruhrgebiets aus. Der Parteivorstand der SPD warnt in einer Erklärung davor, “den kommunistischen Gimpelfängern zu folgen”, im Interesse “der Partei und der Einheit der Arbeiterbewegung” lehnt er “gerade jetzt entschiedener denn je ein Zusammengehen mit den Kommunisten ab.”
Menschen erblicken Menschliches in anderen Tieren, überall in der Natur, in Wolken und Sternen am Himmel, noch verstärkt durch unsere ausgeprägte Fähigkeit Unbelebtes zu beleben, zu animieren, indem wir es gedanklich in Bewegung versetzen. Nun erblicken Menschen in Chatprogrammen, die von Menschen verfasstes Material anordnen, Menschliches. Und manche schreiben (bezahlt und unbezahlt) Texte, die sich glaubwürdig wie besonders seltsame ChatGPT-Sachen lesen. Oh, the humanity!
Um weniger Erprobungskosten und dadurch mehr Gewinn zu haben nutzt Tesla nicht nur die Kundschaft sondern auch alle anderen Verkehrsteilnehmenden als Versuchskaninchen für seine selbstfahrenden Autos.
Die Pointe am Zugunglück in East Palestine, Ohio ist nicht, dass die vormalige US-Regierung im Interesse der Bahnunternehmen die Sicherheitsvorkehrungen gelockert oder dass die gegenwärtige Regierung den Bahnstreik für bessere Arbeitsbedingungen Ende letztes Jahr verhindert hat, auch nicht, eine wie große Frechheit die Entschädigungsangebote an die betroffene Bevölkerung sind, sondern dass die Bahn endlich in die Hand der Gewerkschaften gehört.
In meiner sozialen Umgebung gab es in den letzten Wochen mehrere Corona-Fälle, ich bin weiter vorsichtig, war selbst bisher noch nicht infiziert.
Ich habe keine Außenpolitik, keinen Staat, keine Verfügung über die gesellschaftlichen Produktionsmittel. Ich kann niemandem Waffen verkaufen, weil ich keine habe. Wenn ich Waffen hätte und jemand bräuchte sie dringend, würde ich sie nicht verkaufen sondern einfach geben. Ich kann die Arbeitskräfte in Russland nicht dazu bewegen den Krieg zu beenden.
Was ich tun kann, ist weiter für das zu werben, was gegen Krieg, Klimawandel, Ausbeutung und Diskriminierung am wahrscheinlichsten hilft: dass sich überall immer mehr Arbeitskräfte selbst zusammenschließen, mit immer mehr anderen, über Grenzen und Ausschlüsse hinweg, dass sie in und mit ihren Organisationen ihre Interessen durchsetzen und sich Mittel verschaffen um ihre reale Mehrheit zur Geltung zu bringen.
Am 11. Januar 1923 marschieren zur direkten Entnahme von ausgebliebenen Reparationsleistungen nach dem Versailler Vertrag eine belgische und zwei französische Armeekolonnen aus der Umgebung von Düsseldorf und Duisburg ins Ruhrgebiet ein, das sie im Laufe von drei Tagen bis auf Dortmund besetzen. Es gibt spontane nationalistische Proteste dagegen, bei denen Studierende “Die Wacht am Rhein” singen, doch zunächst fällt kein Schuss.
In den kommenden Tagen wächst die Besatzung auf eine Truppenstärke von insgesamt etwa 100.000. Am 15. Januar feuert die Mannschaft eines französischen Militärpostens in Bochum “blinde” Warnschüsse in eine nationalistische Gruppe, die “Siegreich wollen wir Frankreich schlagen” singt – mindestens einer der Soldaten schießt jedoch scharf und tötet einen Jugendlichen, es gibt zwei Verletzte.
Anders als bei den militärischen Polizeieinsätzen der Jahre zuvor, als Reichspräsident Ebert es war, der ins Ruhrgebiet und anderswo schwerbewaffnet einmarschieren und Proteste niederschießen ließ, sendet er nun zur öffentlichen Beerdigung des Jugendlichen ein Beileidstelegramm und kümmert sich um Hilfe für die Angehörigen. Seit November 1922 gibt es eine Reichsregierung ganz ohne Eberts SPD, doch ihr Zentralorgan Vorwärts schreibt staatstragend vom Blut an den Händen der französischen Politik, betont den kriegerischen Charakter des Einmarschs und will keine Notwehr erkennen.
Das war in den Jahren zuvor anders: Als etwa am 6. April 1920 mindestens elf Arbeiter aus Essen und Mülheim, die ihre Waffen bereits Tage zuvor abgegeben hatten, nach “Standgerichten” des Freikorps Roßbach erschossen und verstümmelt wurden, bezeichnete der Vorwärts am gleichen Tag das Vorgehen der schon seit Tagen mordenden Regierungstruppen als „Polizeiaktion“. Ebenfalls an diesem Tag besetzten französische Truppen als Reaktion auf die Verletzung der neutralen Zone durch die aufstandsbekämpfende Reichswehr wie angedroht Frankfurt, Hanau, Darmstadt und Homburg – der Vormarsch der Reichswehr ins Ruhrgebiet wurde jedoch nicht gestoppt, immer noch war es der SPD-geführten Regierung wichtiger, die aufständischen Arbeiter zusammenschießen zu lassen, als einen neuen Krieg mit Frankreich zu vermeiden.
Nun ruft ab dem 13. Januar 1923 die bürgerliche Regierung Cuno zum “passiven Widerstand” auf, sie stellt die nationale Interessenlage offen dem Klassenkampf gegenüber und kann ihn teilweise erfolgreich für sich einspannen. Kooperation mit den Besatzungstruppen wird vor Ort verweigert, es kommt zu Protesten und Streiks, dabei erschießen Soldaten mehrmals Protestierende.
Auch Dortmund wird besetzt, einige nationalistische Lieder werden von der Besatzungsmacht verboten, es wird zum Teil gegen Beleidigung der Truppen vorgegangen, Soldaten begehen sexuelle Übergriffe. Von alldem angetrieben weiten sich Proteste und Streiks zügig aus. Aus dem Interessenkonflikt zwischen deutscher, französischer und belgischer Regierung ist eine ständige Konfrontation von Soldaten und Zivilbevölkerung geworden.
Nach dem letzten offenen Aufstand im Mitteldeutschen Industriegebiet, in Hamburg, im Ruhrgebiet und im Südwesten im März 1921 befinden sich Hunderte auf der Flucht im Untergrund, von denen einige sich bis zu Karl Plättners Verhaftung Anfang 1922 (wenige noch weiter bis 1924) mit Raubüberfällen durchzuschlagen versuchen. Weitaus mehr Beteiligte der revolutionären Kämpfe, soweit sie nicht wie Tausende unmittelbar erschossen wurden, sind nach harten Urteilen dem bereits stark faschistisch geprägten Strafvollzug ausgeliefert, in dem sie Folter und Misshandlungen erleiden müssen, was viele nicht überleben. Die erst 1921 gegründete Rote Hilfe liefert Rechtsbeistand und Unterstützung für Gefangene, Opfer und Angehörige aller Parteien.
Die Konterrevolutionäre haben sich in der “Ordnungszelle” Bayern konsolidieren können, wo paramilitärische Verbände sowie anderswo verbotene völkisch-antisemitische Gruppen fortbestehen und revolutionären Regungen im Keim erstickt werden. Die NSDAP findet vor allem im Norden Bayerns erstmals eine breitere Basis, vor allem nachdem sie beim “Deutschen Tag” am 14./15. Oktober in Coburg martialisch aufmarschiert und sich Straßenschlachten mit Gegenprotesten liefert.
Im Rest des Reiches verüben nationalistisch-konterrevolutionäre Organisationen Terroranschläge, die im Mai 1922 auch Hamburg erreichen, wo sie trotz ihrer Ausmaße von der SPD-Stadtregierung wenig Aufmerksamkeit bekommen. Erst nach der Ermordung des Außenministers Walther Rathenau am 24. Juni findet sich die SPD-Führung reichsweit zu gemeinsamen öffentlichen Erklärungen mit der KPD bereit, nutzt die Situation jedoch sofort aus um mit dem “Republikschutzgesetz” vom Juli gegen “rechts und links” vorgehen zu können. Schon zwei Tage nach Rathenaus Ermordung hatte die SPD-geführte Sicherheitspolizei von Hamburg das Feuer auf eine Streikkundgebung am Heiligengeistfeld eröffnet.
In der KPD vertieft sich in dieser Situation der Widerspruch zwischen Einheitsfront-Taktik und sozialistisch-revolutionärer Orientierung, während die Partei sich stärker am sowjetischen Vorbild ausrichtet, nachdem die Bolschewiki 1921 den Bürgerkrieg für sich entscheiden konnten. Gleichzeitig strömen die Reste der USPD in die SPD zurück, was zur Neukonstituierung als Vereinigte SPD (VSPD) auf dem Parteitag von Nürnberg am 24. September führt (siehe Bild) und die neue Partei deutlich nach links von der bisherigen SPD treibt. Das begünstigt das Zusammengehen mit der KPD in Sachsen und Thüringen im Laufe des Jahres 1923.
Die anarchistisch-syndikalistische FAUD erreicht 1922 ihren organisatorischen Höhepunkt mit über 100.000 Mitgliedern und ruft zu Weihnachten bei einem Kongress in Berlin als Gegenstück zur kommunistischen Roten Gewerkschafts-Internationale (RGI) die Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA) ins Leben, die ihrem Selbstverständnis nach an die Erste Internationale von 1864-76 anknüpfen will.
Am 14. November bittet die Reichsregierung Wirth um Zahlungsaufschub für die Reparationen aus dem Versailler Vertrag, am 24. November wiederholt nach Wirths Rücktritt der von Ebert neu ernannte Cuno, ein “Mann der Wirtschaft” (Ullrich), diese Bitte. Am 27. November antwortet die französische Regierung mit der Drohung, Teile des Ruhrgebiets zur direkten Entnahme der Reparationen zu besetzen, und beschließt am selben Tag die unmittelbare Vorbereitung des Einmarschs.
Während die deutsche Seite ihre eigene Einschätzung ihrer ökonomischen Situation zum Maßstab für die Reparationen nimmt, die Realität der von vierjähriger deutscher Besatzung verheerten Gebiete nicht zur Kenntnis nehmen will und in der nationalistischen Deutung abwegige Vergleiche zu anderen Friedensverträgen zieht, gehen besonders Frankreich und Belgien als Hauptbetroffene der Besatzung vom angerichteten Schaden und seinen aktuellen ökonomischen Folgen aus. Dieser Konflikt wird sich schon im Januar 1923 drastisch zuspitzen.
Zu den häufigsten Erzählungen über den Aufstieg des Nationalsozialismus gehört, ihn Versailles und der Weltwirtschaftskrise zuzuschreiben – das ist im Kern eine der Lieblingserzählungen der Nazis über sich selbst. (Empfehlenswertes kurzes Video dazu von TimeGhost History: “Versailles Treaty ≠ Hitler’s Rise to Power”)
Es wird hingegen noch mal genau hinzuschauen sein, wer im letzten Revolutionsjahr 1923 in welcher Reihenfolge genau was tut.
Viele sind alt, viele sind tot. Manche der Jüngeren sagen viel Richtiges. Bis vor ein, zwei Jahren hätte es heißen müssen: Es wird nicht besser, wenn wir es nicht besser machen. Jetzt wohl: Es wird nicht weniger schlimm, wenn wir es nicht viel besser machen. Und natürlich geht es damit los uns selbst und gegenseitig freundlich und bestimmt die Ausreden zu zerstören, die uns davon abhalten.
Unablässig knattert die Schlagzeilenmaschine: Niemand will mehr arbeiten, junge Leute sind zu gepampert und spinnen rum, überall “fehlen” mysteriöserweise Arbeitskräfte, öffentliche Infrastruktur ist eh rettungslos hinüber, Autos und private Versorgung sind viel aufregender, nur unser aktuelles Schnäppchen schützt sie vor Inflation und Bolschewismus, Pandemieschutz ist sinnlos oder gleich kontraproduktiv, Masken sind Freiheitsberaubung und alle sehen das so, vielleicht stimmt das mit dem Klima doch nicht und die Unwetter kommen von den Grünen, Atomkraftwerke sind vielleicht doch nicht so schlimm und Windkraftwerke die eigentliche Umweltzerstörung, veganes Essen und Kiffen zerfressen vielleicht Körper und Geist, die Nazis waren ein geheimnisvoller Schadenszauber gegen die deutsche Nation, die arme Polizei kriegt immer alles ab und überall lauern doch aber Bedrohungen, Arme sind faul und stellen Ansprüche, Reiche sind großzügig und visionär, Steuern und jegliche Beschränkung des Geschäfts sind DDR 2.0, aus anderen Ländern kommen die Probleme, Fremde sind kriminell und betrügen, echte Einheimische treudoof und tüchtig, Trans ist nur Einbildung und Gendern reine Schikane, die sollen sich alle nicht so haben und sexuelle Ausbeutung ist schon auch irgendwie geil, Männer und Frauen sind nun mal so und so und waren es auch schon immer, Minderheiten tragen mindestens Mitschuld an ihrer Diskriminierung – und immer wieder das vereinnahmende “Wir”, “wir” können uns dieses oder jenes nicht mehr leisten, “wir” sind eh viel wohlhabender als gedacht, sind alle gleichermaßen verantwortlich und müssen bei uns selbst anfangen, müssen uns fragen, was wir fürs Kapital tun können, we’ll never walk alone and we are the champions, einer trage des anderen Boot.
Social Media hat das sicherlich weiter eskaliert, die Strickmuster sind aber viel älter: Einzelfälle aufblasen, reale Mehrheiten verschleiern, Geschichte und Zeitgeschichte auf wenige Personen herunterbrechen, Wissenschaft über- oder gleich komplett fehlinterpretieren, die Interessen von Staat und Kapital naturalisieren, Arbeitskräfte zum Bekenntnis für diese oder jene Kapitalfraktion nötigen und sie entlang aller denkbaren Unterschiede gegeneinander aufhetzen, die Hetze verharmlosen – das alles gern als Frage, Zweifel, mutiger Tabubruch, scharfzüngiger kabarettistischer Heroismus der Meinungsfreiheit.
Und das ist gar nicht unbedingt manipulativ im Sinne von Entscheidungen, die getroffen werden, es ist schlicht profitabel im doppelten Sinne: einerseits direkt durch mehr Clicks und damit Werbeeinnahmen, andererseits aber auch vermittelt durch allgemeine Verstärkung der herrschaftlichen Diskurshegemonie und der Abhängigkeit von dieser Art öffentlicher Kommunikation. Es fördert die Konkurrenz der Arbeitskräfte und untergräbt ihren Zusammenschluss.
Das Erstaunliche ist, wie schlecht das trotz all der Mittel, trotz des ganzen Aufwands und trotz der Hegemonie verfängt, bei wie vielen Themen es weiterhin stabile Mehrheiten in die Gegenrichtung gibt, wie viele Leute auch in den scheinbar verlorensten Winkeln deutlich widersprechen. Und wiederum erstaunlich ist aber, dass sich diese realen Mehrheiten kaum organisiert bekommen, dass sie sich immer wieder von der politischen Repräsentationsebene verschaukeln lassen und sich bei allem, was sie an Hetze erkennbar durchschauen, dennoch einreden lassen, sie wären nicht die Mehrheit und könnten das, was sie für richtig halten, deshalb nicht durchsetzen.
Geben wir dem Quatsch doch den letzten Schubs: Widersprechen, die Widersprüche betonen, das Richtige trotzdem sagen und tun, die Konkurrenz überwinden, uns zusammentun und die Produktionsmittel übernehmen!
Während meines Aufenthalts beim Antifaschistischen Jugendkongress endlich dazu gekommen, das Denkmal für die Toten des “Chemnitzer Blutbads” bzw. der Chemnitzer Augustkämpfe des Jahres 1919 direkt am Hauptbahnhof zu fotografieren.
errichtet 1977, Bildhauer Hand Dittrich
Ab Juli 1919 hatte es in der Stadt Proteste gegen Lebensmittelnot gegeben, ab Anfang August wurden diese aus bürgerlicher Richtung teilweise antisemitisch gegen jüdische Geschäfte aufgeladen. Die sozialistische Presse verurteilte das scharf, Räte und Arbeiterparteien versuchten mit der Stadtverwaltung zu verhandeln und die Ergebnisse bei einer öffentlichen Versammlung am 8. August auf dem heutigen Theaterplatz zu berichten.
Ausschnitt aus der damaligen Berichterstattung in der “Chemnitzer Volkszeitung” der USPD, entnommen aus “Das Chemnitzer Blutbad” von Arno Bruchardt (Leipzig 1919), komplett hier.
Regierung und Garnison untersagten diese Versammlung durch Verschärfung des Belagerungszustands ausdrücklich, die zusammengezogene Reichswehr griff sie mit Schusswaffen an. Die Demonstrierenden strömten daraufhin zum Hauptbahnhof und konnten die Soldaten teilweise entwaffnen. Die folgenden stundenlangen Kämpfe forderten 36 Tote, davon 22 Soldaten und 14 Zivilisten, mehr als 100 wurden verletzt.
Die Reichswehr musste abziehen, konnte aber durch spätere Besetzung der Stadt die Lage wieder unter ihre Kontrolle bringen. Aus Sicht der Regierungs-SPD war hier ein “kommunistisch provozierter” Aufstand niedergeschlagen worden.
Ich bin auch nicht besser als andere darin abzuschätzen, wann welche Auswirkungen welcher der laufenden oder kommenden Katastrophen wo mit welcher Intensität ankommen, wer dann wie in der Lage und bereit ist, was genau zu tun und wo es dann zu größeren Radikalisierungen in erfreulichere oder unerfreulichere Richtungen kommt. Ja, der ökonomische und politische Kollaps Sri Lankas war lange abzusehen, aber die Welt ist voller absehbarem Kollaps.
Ganz gute Zusammenfassung des Zustandekommens der Lage in Sri Lanka von vor etwa einem Monat: “Why Sri Lanka is Collapsing“
In jeder denkbaren Situation ist es besser, wenn die Arbeitskräfte überall besser selbst organisiert sind, über ihre Organisationen mehr Kontrolle haben, ihre Kämpfe sichtbar machen und verbinden können. Und das heißt auch: die ganze Klasse organisieren bzw. ihr dabei helfen, allen Arbeitskräften mit ihren jeweiligen spezifischen Bedürfnissen und Lebenslagen, nicht nur (vermeintlich) passende Ausschnitte der Klasse, die bestimmten Vorstellungen von Arbeiterklasse(TM) entsprechen, eigene reaktionäre Auffassungen über Geschlecht, Ernährung, Herkunft usw. zu teilen scheinen oder zumindest dafür reklamiert werden können, oder die andersherum mit Themen wie Pflegenotstand, Fleischproduktion usw. in Verbindung stehen.
Es liegt nahe und kann auch ein guter Einstieg sein, besonders krasse Missstände zu skandalisieren, aber es muss immer die Verbindung zu anderen Kämpfen in Gegenwart und Geschichte, in der Nähe und Ferne gesucht werden um nicht maximal als kurzfristige “Chefsache” steckenzubleiben. Wir müssen uns besser kennen und dazu wie dadurch die schillernde Vielfalt der (meist ebenso vielfältig forcierten) Klassenspaltungen, in der Bedürfnisse gegeneinander ausspielt werden, überwinden.
Und wir haben leider keine Zeit. Vor 30 Jahren war die Sache mit dem Treibhauseffekt eigentlich klar, es gab Pophits darüber, Frank Drebin war der Umweltpolizist, wir hatten es mehrfach im Schulunterricht – und dann wurde 30 Jahre lang immer noch mehr Zeug verbrannt und wurden immer noch mehr Autos produziert, damit reiche Leute noch reicher werden konnten. Und jetzt ist es halt zu spät für langsam und geduldig, und das kriegen ja auch die meisten mit. Jetzt überfällt eine Supermacht ein anderes großes Land, nicht zuletzt um es als Konkurrenz im Verkauf von Erdgas auszuschalten. Und jetzt gibt es immer heftigere Unwetter und Dürren, jetzt steht die größte Hungerkatastrophe aller Zeiten bevor. Und jetzt gibt es aber auch Massenproteste, die schon 2018ff. beträchtliche Ausmaße erreicht hatten (Chile, Indien, FFF, Gilets Jaunes, BLM), sich aber noch zu wenig verbinden konnten.
Jegliches Warten auf geschichtliche Momente hat sich ohnehin erledigt, und jegliche Anrufung irgendwelcher höherer Mächte aus Geschichte und Religion war schon immer zu bescheiden – wir, die Arbeitskräfte, sind die höchste Macht, die wir anrufen können. Nur wir können unser aller Bedürfnisse erfüllen und hoffentlich gerade noch so verhindern, dass weite Teile des Planeten unbewohnbar werden – niemand sonst.
Als der Arbeiter- und Soldatenrat von Dresden im November 1918 die Macht vom sächsischen König (‘Dann macht doch euern Dreck alleene!’) übernimmt, stellt er in seiner ersten Regierungserklärung den Freistaat in den Rahmen der ‘Epoche des Übergangs von der kapitalistischen in die sozialistische Gesellschaftsordnung’ – Daniel Kulla erinnert mit viel Bild und Ton an Sachsen als einen der Hauptschauplätze der deutschen Arbeiter*innenbewegung und der Revolution von 1918-23, deren Niederschlagung den Weg in den Nationalsozialismus ebnete.”
Klassenkampf ist nicht alles, aber ohne Klassenkampf ist alles nichts. Daniel Kulla versucht etwas Orientierung zwischen alter und neuer Klassenpolitik zu geben, die immer schon umso erfolgreicher war, je egalitärer und inklusiver sie war. Wie können wir Arbeitskräfte, statt uns um schrumpfende Töpfe miteinander zu kloppen, dafür sorgen, dass der Topf größer wird und irgendwann doch noch alle kriegen, was sie brauchen? Wie können wir Klassenperspektive besser sichtbar machen, Kämpfe unterstützen und verbinden, aus schon gemachten Erfahrungen in Geschichte und anderen Ländern lernen? Welche Rolle können dabei Klassenorganisationen (Räte, Gewerkschaften, Partei) spielen?”
Am Donnerstag dem 8. März 1917, heute vor 105 Jahren, treffen im Stadtzentrum der russischen Hauptstadt Petrograd Streikende und Protestierende sowie einige zu ihnen übergelaufene Soldaten vor allem aus dem nördlichen Industriebezirk (mittlerweile waren dort etwa 90000 im Streik, es gab Hunderte Streiks wegen Inflation und Versorgungsmängeln in Russland in den Wochen zuvor) mit den Kundgebungen zum Internationalen Frauentag zusammen.
Das verbindet auf einen Schlag verschiedene Kämpfe und Sektoren der Gesellschaft und beschleunigt den angelaufenen revolutionären Prozess, der aus etwa 25 Jahren revolutionärer Aufschwünge und konterrevolutionärem Terror entstanden war, so sehr, dass er im Laufe einer weiteren Woche zum Überlaufen der gesamten hauptstädtischen Garnison und der Kosaken, der Bildung einer provisorischen Revolutionsregierung, der Verfügung des vereinigten Petrograder Sowjets über die Kontrolle aller Waffen durch gewählte Soldatenräte und schließlich zur Abdankung des Zaren, zum Ende einer 300 Jahre alten Dynastie und zum Ende der Monarchie in Russland führt.
«Die Februarrevolution wurde in der Brot-Warteschlange geboren. Sie begann, als eine Gruppe Textilarbeiterinnen auf der Wyborger Seite von Petrograd des Wartens müde wurde und wegging, um ihre Männer in den benachbarten Metallfabriken aufzufordern, sich einem Protestmarsch ins Zentrum der Stadt anzuschließen.»
Bilder zeigen eine Warteschlange für Lebensmittel in Russland, vermutlich Anfang 1917, die Lage im Ersten Weltkrieg zu diesem Zeitpunkt und Massenproteste in Petrograd während der Februarrevolution.
… es ist nicht eh alles egal, und dass die Regierung Pandemieschutz fast nur als Show betreibt, war die ganze Zeit schon so – es ist nicht unser Staat, wir bezahlen ihn nur. Und auch die ganze Zeit über war es hauptsächlich deshalb nicht noch schlimmer, weil sich die allermeisten Leute selbst gekümmert und geschützt haben, ein Heer von Freiwilligen, Unterbezahlten und Überarbeiteten Impfungen, Testungen, Behandlung, Betreuung, Aufklärung und Hilfe übernommen haben. Immer noch gelten die schlimmsten Freiheitsbeschränkungen für die zahllosen Immungeschwächten. Impfungen schützen, Booster schützen mehr. Mehr Infektionen bedeuten mehr Mutationen, die Gesamtzahlen, hierzulande wie global, geben keinen Grund zur Entwarnung. Auch geringere Hospitalisierungsraten heißen immer noch Belastung der knappen Kapazitäten, gerade angesichts der Rekord-Infektionszahlen, die nicht mal mehr vollständig erfasst werden.
Es ist wie mit dem Klimawandel – wir sollten nicht aufgeben, uns nicht einreden lassen, es wäre eh nichts mehr zu machen. Dass es schlimm ist und schlimmer wird, heißt nicht, dass wir nicht nach wie vor noch jede Menge Schaden abwenden können und unbedingt sollten.
So sehr ich Ungeduld und Zorn nachvollziehen kann, ist es immer besser, wenn sich der Zorn auf die Herrschaft der Klasse richtet, deren Interesse den Planeten immer weniger bewohnbar macht, und die Ungeduld auf ihren Fall, mit dem Herrschaft insgesamt fallen könnte. Wir können sie nicht darin schlagen, die Realität zu verdrehen und die Widersprüche auf Schlagzeilen herunterzubrechen. Statt triumphieren und uns moralisch überlegen fühlen zu wollen, sollten wir weiter bestimmt und geduldig erklären, wie wir uns alle am besten schützen können. Und wir sollten dennoch albern und lustig sein, uns selbst und einander Entlastung und Erleichterung verschaffen, wo immer wir das können und wo es nicht nur weitere Last erzeugt.
Passt auf euch auf, passt aufeinander auf, unterstützt die Zusammenschlüsse und Kämpfe der Arbeitskräfte um mehr Mittel und geringere Belastung, in denen das Bewusstsein und die praktischen Grundlagen für die Möglichkeit entstehen können, das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft zu kippen und den ganzen Schrecken endlich wirklich ernst zu nehmen.
Habe auf meine alten Tage offenbar doch noch an einer Art Podcast mitgewirkt – mehr als 2 Jahre nach der Aufzeichnung des Gesprächs mit Lea-Won über meine Hauptthemen und ihren Zusammenhang kann nun dem zweiten Teil gelauscht werden, komplett mit ein paar Lautstärkeüberraschungen und etwas Geraschel, Kapitelunterteilung und weiterführenden Links in der Beschreibung:
Vor allem Klein- und auch einiges Großbürgertum radikalisieren weiter zusammen mit Staatsgewalt und Anhang den Nationalismus, aktuell u.a. in Richtung Faschismus für die Freiheit der Volksgesunden von Überwältigungs- und Penetrationsangst. Liberalismus dabei irgendwie sein eigenes Hufeisen: Sozialdarwinismus “rechte” Version Immunchauvinismus: “Der Markt/Körper regelt das”; “linke” Version Darwin Awards: “Die entsorgen sich selbst”. Nach 5 Jahrzehnten beschleunigter Umverteilung nach oben: Bezos und Musk im Orbit. Google hat ein Zeitkristall. Golfmonarchien haben Regenmacher. Vielleicht wandert die herrschende Klasse komplett ins Metaverse ab und wir lassen sie einfach dort in dem Glauben, ihnen würde noch alles gehören, während wir es ihnen gemeinsam wegnehmen.
Aber verlassen wir uns lieber nicht auf solche Wunschträume, bleiben wir bei den Erkenntnisprozessen und Kämpfen, die schon stattfinden. Greta Thunberg: “Die globalen Krisen beruhen auf der Idee, das manche Leute mehr wert sind als andere.” Gabriel Boric: “Chile war die Geburtsstätte des Neoliberalismus und soll nun sein Grab werden!” Impfende Arbeitskräfte: “Immer rein damit.” Alejandro Vilca: “Wir sind keine professionellen Politiker, wir sind Arbeitskräfte, die Politik machen.” Und Streiks, Streiks, Streiks!
(Grafik zum öffentlichen Vermögen via DIE LINKE. Sachsen. Antiimpf-Bilder sind von den jüngsten Protesten in Cottbus.)