Auftritte 2023

January 4th, 2023

• VERSCHOBEN! Sa, 14.01.2023, Frankfurt/Main, Klapperfeld: Vortrag “Die Hüftbewegung – Was uns zu Menschen machte” und Auflegerei
• So, 26.02.2023, Halle, Falle: Vortrag “Sin Patrón – Arbeitsplätze selber schaffen”
• Do, 20.04.2023, Cottbus, Zelig: Vortrag “Klassenkampf? ‘Sch mach glei mit!”
• Do, 25.05.2023, Eisenach, IG Metall: Vortrag “Über alles – Burschenschaften zwischen bürgerlicher Revolution und Konterrevolution, Faschismus und konservativem Karrierenetzwerk” (Kritische Infoveranstaltung gegen den Burschenschaftstag)
• Sa/So, 27./28.05.2023, Doksy, Pfingstcamp: Vortrag “1923 – Das Ende der Revolution” und Feierabendeinstieg Die Hüftbewegung – Was uns zu Menschen machte

Schon beschlossen, aber noch ohne konkreten Termin sind mehrere Veranstaltungen in Leipzig (“Systemausfall ’89/’90 – Das Ende der DDR und die Folgen”, “LUTHER AUF DAS MAUL schauen”, Revolutionsgeschichte in Zschocher), Nordhausen (“Entschwörungstheorie”) und Speyer (“Identität”), mehrere Veranstaltungen zur Revolution vor hundert Jahren vor allem in Sachsen.

Wer noch mehr aushecken will oder sich daheim die Slides und Materialien anschauen, findet hier mein aktuelles Programm, das laufend weiter aktualisiert wird.

1923 beginnt: 24. Mai – Erwerbslose kontrollieren Preise, mehrtägige Hungerproteste in Dresden

May 23rd, 2023

Am 24. Mai 1923 beginnen Erwerbslose gegen Preiserhöhungen in der Markthalle am Dresdner Antonsplatz (heute vor der Altmarkt-Galerie) zu protestieren. Sie fordern Ausschilderung und Begrenzung der Preise, sorgen bis Mittag für die Schließung aller Geschäfte. Als sie am Nachmittag wieder eröffnet werden, kontrollieren die Erwerbslosen die Preistafeln. Am nächsten Tag tun sie das in allen Markthallen der Stadt, drohen damit die Marktstände zu zerschlagen und halten im Tanzlokal ‘Kristallpalast’ in der Friedrichstadt eine Versammlung ab. Als sie im Anschluss zum Wiener Platz (Hauptbahnhof) ziehen wollen, verhindert die Polizei das Eindringen in die dortigen Markthallen.

Am Sonnabend dem 26. Mai versammeln sich erneut solche Massen in der Antons-Markthalle, dass sie geschlossen wird. Am Nachmittag greift die Polizei eine Demonstration in der Schloßstraße mit Gummiknüppeln an. Der Erwerbslosenrat Groß-Dresden fordert weitere Demonstrationen bis zur tatsächlichen Senkung der Preise. Am Sonntag ziehen 1000 Demonstrierende durch die Prager Straße zum Opernhaus, fordern Schließung der Luxusrestaurants. In der Neustadt schaffen sie es, fast alle Lokale in der Hauptstraße und Bautzner Straße zu schließen. Am Montag dem 28. Mai besetzen Protestierende schließlich ab 4 Uhr morgens die Hauptmarkthalle in Friedrichstadt und den daneben liegenden Wettiner Bahnhof (heute Bahnhof Mitte). Per Zug ankommende Lieferanten werden zurückgeschickt. Berittene Polizei greift einen Demonstrationszug auf dem Wiener Platz an, wird mit Steinen beworfen und muss sich zurückziehen. Vereinzelt werden Reichswehrsoldaten aus Straßenbahnen geholt und gewaltsam entwaffnet. Um 8 Uhr werden bei einem Angriff auf das Polizeipräsidium (heute Polizeidirektion am Pirnaischen Platz) zwei Demonstrierende durch Schüsse sowie ein Polizist durch Messerstiche und eine Bierflasche verletzt.

Die Inflationskrise erwischt Sachsen besonders schwer, Erwerbslosigkeit und Hunger greifen hier mit am stärksten um sich, den gerade noch im Vorjahr boomenden Gewerkschaften leert die Inflation die Streikkassen. Ermutigt und begünstigt von der linken Landesregierung kommt es zu immer mehr Protesten, die sich im weiteren Verlauf des Sommers besonders in Westsachsen noch erheblich intensivieren werden. Während im Mai und Juni die Bildung einer “Arbeiterregierung” aus SPD und KPD in Thüringen zunächst scheitert und die Proletarischen Hundertschaften, die Ordnungs- und Selbstschutzorgane der Arbeitskräfte, in Preußen im Mai verboten werden, folgt die von der KPD tolerierte SPD-Regierung in Sachsen weiter der Regierungserklärung ihres Ministerpräsidenten Erich Zeigner aus dem April, in der er nicht nur auf eine Überwindung der Privatwirtschaft ohne Bürokratisierung drängte, sondern auch “Abwehrmaßnahmen der Arbeiterschaft gegen putschistische Elemente” billigte.

Die Reichswehr habe sich, so Zeigner, “nicht frei gehalten … von engen Beziehungen zu diesen reaktionären faschistischen Organisationen.” Statt die Republik zu schützen, habe sich die Reichswehr “mehr und mehr zu einer Bedrohung der Republik entwickelt.” Der Reichswehr-Befehlshaber in Sachsen, General Alfred Müller, meldet daraufhin ans Gruppenkommando, die Regierung Zeigner sei “nahezu restlos an die Wünsche der Kommunistischen Partei gebunden”, sein “Werturteil” verlange eine Erwiderung des Reichswehrministers.

Reichswehr und Nazis bekommen wegen des Besatzungsgeschehens im Ruhrgebiet unterdessen Oberwasser. Die sich im Frühjahr häufenden Fälle von Gewalt und Vergewaltigung (etwa 50 Fälle sind dokumentiert) durch die Besatzungstruppen werden von der nationalistischen deutschen Propaganda vor allem marokkanischen und anderen Kolonialtruppen zugeschrieben. Frauen, die im Verdacht standen, sich freiwillig mit den Besatzern einzulassen, wurden schon seit dem Vorjahr von ‘Scherenklubs’ öffentlich gedemütigt und misshandelt.

Am 26. Mai richtet die französische Armee den vorab verurteilten Nazi-Terroristen und Veteranen der Ruhrgebietsmassaker von 1920 Albert Leo Schlageter hin. Er hatte mit Unterstützung von Reichswehr und Polizei Anschläge verübt um den passiven Widerstand in eine aktive nationalistische Erhebung zu eskalieren. (Siehe Posting zum April.) Bereits vor der Hinrichtung geht eine Welle der öffentlichen Empörung durch die deutsche Öffentlichkeit – das Vorgehen wird als Eingriff in die deutsche rechtliche Souveränität angesehen, es kommt zu Gnadengesuchen an den französischen Präsidenten, das Auswärtige Amt versucht den Vatikan einzuschalten. Doch erst nach der Hinrichtung wird Schlageter endgültig zum Märtyrer des deutschen Nationalismus.

Für die NSDAP, deren Zentralorgan bereits im Frühjahr Pläne veröffentlichte, Juden in Lager zu deportieren, und die am 1. Mai in München auf dem Theresienfeld nur dank Schutz und geborgter Waffen der Reichswehr neben einer mehr als zehnmal größeren Massenkundgebung der Gewerkschaften und der SPD posieren konnte, ohne ihr angekündigtes “Massaker” anzurichten, war der schnell einsetzende und von ihr mit Inbrunst angefachte Märtyrerkult um Schlageter vielleicht der stärkste Popularitätsschub bis dahin. Dieser Kult sollte in den folgenden Wochen vor allem in der KPD und der Komintern zu katastrophalen Fehlentscheidungen beitragen.

Durchgang zu den Markthallen am Dresdner Antonsplatz und die Front der Hauptmarkthalle am Wettiner Bahnhof.

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1923 beginnt: Was bisher geschah
1923 beginnt: 11. Januar – Einmarsch ins Ruhrgebiet
1923 beginnt: 15. März – Linksrutsch in Sachsen, “Arbeiterregierung” gegen den Faschismus
1923 beginnt: 18. April – Erwerbslose belagern Rathaus von Mülheim/Ruhr
Alle Postings zur Revolution: Revolution in Deutschland 1918-23

1923 beginnt: 18. April – Erwerbslose belagern Rathaus von Mülheim/Ruhr

April 17th, 2023

Am 18. April 1923 beginnen in Mülheim an der Ruhr Erwerbslose, die für die Stadt Notstandsarbeiten verrichten, für bessere Bezahlung zu protestieren. Als ihre Demonstration das Rathaus erreicht, verbarrikadieren sich dort Beamte, weil die Stadtverwaltung Verhandlungen ablehnt und die Demonstrierenden versuchen das Gebäude zu stürmen. Zwei Tage kämpfen die Erwerbslosen, teilweise mit Waffen aus einem geplünderten Waffenladen, gegen Polizei und Bürgerwehr, es gibt Tote und Verletzte.

Unterstützt werden die Protestierenden von der syndikalistischen FAUD, die hier relativ stark ist und versucht, einen Generalstreik loszutreten und eine dauerhafte Bewaffnung der Arbeitskräfte sowie die Entwaffnung des bürgerlichen Selbstschutzes durchzusetzen. Das schlägt jedoch fehl und die FAUD wird in der Folge Hauptziel der Repression, ihr Büro wird verwüstet, viele müssen fliehen. Da sie entgegen der nationalistischen Stimmungsmache die Arbeitskräfte offen dazu aufruft, sich nicht für die Interessen der Thyssen, Klöckner, Hugenberg und Stinnes missbrauchen zu lassen, trifft die FAUD hier auch der nationale Furor, der auch in den Großgewerkschaften zunimmt – Vorwürfe werden laut, die Proteste wären von der Besatzungsmacht begünstigt worden.

Ebenfalls am 18. April steigt die Inflation nach einer vorübergehenden Stabilisierung wieder kräftig an. Schon Ende 1922 kostete ein Dollar 10 000 Mark, nach der Ruhrbesetzung stieg der Preis Anfang Februar sprungartig auf über 40 000, konnte dann bei etwa 20 000 stabilisiert werden und klettert nun wieder auf 25 000. Ende Mai werden es schon 54 000 sein. Ursprünglich von der gigantischen Kriegsverschuldung aus dem Weltkrieg angestoßen, hatte die Inflation seither stetig zugenommen und dem Großkapital erlaubt, im großen Stil Betriebe und Immobilien zusammenzukaufen, im Falle von Hugo Stinnes auch z.B. Schiffe, Landgüter, Hotels und Zeitungen. Während die Rekordinflation ab 1923 nun auch inländische Staatsschulden abgeträgt und den Großgrundbesitz entschuldet, die Regierung sich ihren “passiven Widerstand” gegen die Reparationen einiges kosten lässt (vor allem Zahlungen für von Maßnahmen der Besatzungsmächte Betroffene sowie für Kohle), sind Rentner, Kleinsparer, Erwerbslose und viele andere Unterstützungempfänger existentiell getroffen und auch immer größere Teile des Klein- und Bildungsbürgertums. Am 16. April bietet die Reichsregierung Wiederaufnahme der eingestellten Reparationsleistungen mit einer Zahlung von insgesamt 30 Milliarden Goldmark an, was als indiskutabel abgelehnt wird.

Die Ruhrkrise ist unterdessen weiter eskaliert. Am 31. März schießen französische Soldaten, die in den Krupp-Werken in Essen Fahrzeuge beschlagnahmen sollten, in eine Menge von Arbeitskräften, die sie daran hindern wollen, und töten 13 von ihnen. Bürgerliche Politik und Öffentlichkeit verurteilen das scharf, anders als vor drei Jahren bei den erheblich blutigeren österlichen Massakern der Reichswehr im Ruhrgebiet, und entdecken alles, was sie damals und während der ganzen militärischen Konterrevolution geflissentlich übersahen, nun beim alten ‘Erzfeind’. Der liberale Publizist Theodor Wolff schreibt etwa: “Den Tempel des Osterfestes hat der militaristische Gewaltgeist mit dem Blute von Menschenopfern befleckt.” Und ebenfalls anders als damals hält am 10. April der Reichstag in Anwesenheit von Reichspräsident Ebert eine Trauerfeier für die Erschossenen ab.

Die französische Militärpolizei verhaftet in Essen am 7. April Albert Leo Schlageter, der vor drei Jahren während der Reichswehr-Massaker Arbeiterwohnungen in Bottrop mit Artillerie beschießen ließ und zuvor schon im Baltikum und Oberschlesien in Freikorps kämpfte, wegen mutmaßlicher Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag auf die Eisenbahnstrecke Dortmund-Duisburg. Schlageter ist nicht nur Teil der Organisation Heinz, die mit Unterstützung durch Polizei und Reichswehr Anschläge gegen die Besatzungsmächte im Ruhrgebiet verübt und “Verräter” ermordet, er gehört auch seit Ende 1922 zur nationalsozialistischen Bewegung. Die kann sich in Bayern vor allem im militärischen und akademischen Milieu konsolidieren, erreicht aber auch immer größere Teile des übrigen Kleinbürgertums, greift im Zuge der Ruhrkrise erstmals auch stärker in andere Teile Deutschlands über. Die NSDAP verdoppelt im Laufe des ersten Halbjahres 1923 ihre Mitgliederzahl von 20 000 auf 40 000.

Am 20. April wird Hitlers Geburtstag im Münchner Zirkus Krone erstmals öffentlich vor 8000 bis 9000 Menschen begangen, Tausende drängen sich noch vor dem Eingang. Hitler spricht zum Thema “Politik und Rasse. Warum sind wir Antisemiten?” Die “deutsche Rasse” werde erst frei sein, wenn der Versailler Vertrag außer Kraft gesetzt und der “innere Feind kaltgestellt” sei. Er hetzt gegen “internationales Finanzjudentum”, “Marxisten” und “Novemberverbrecher”. Alle Juden seien Deutschlands “Todfeinde”. Am lautesten wird er immer, wenn über Juden und Sozialdemokraten spricht. Ebenfalls am 20. April veröffentlicht Julius Streicher, Gründer der NSDAP-Ortsgruppe Nürnberg, die erste Ausgabe der Wochenzeitung “Der Stürmer”, die mit ihrer Mischung aus Gewalt und Pornographie eine der übelsten antisemitischen Propagandaschleudern aller Zeiten wird.

Am 25. April wird in Berlin das 1922 veröffentlichte satirische Mappenwerk “Ecce Homo” des Grafikers und KPD-Mitglieds George Grosz wegen “unzüchtiger Darstellungen” beschlagnahmt.

Fenster des Mülheimer Rathauses und die Tür zum Rathausturm während der Belagerung.

1923 beginnt: Was bisher geschah
1923 beginnt: 11. Januar – Einmarsch ins Ruhrgebiet
1923 beginnt: 15. März – Linksrutsch in Sachsen, “Arbeiterregierung” gegen den Faschismus
Alle Postings zur Revolution: Revolution in Deutschland 1918-23

1923 beginnt: 15. März – Linksrutsch in Sachsen, “Arbeiterregierung” gegen den Faschismus

March 15th, 2023

Am 15. März 1923 bereiten SPD und KPD in Sachsen eine “Arbeiterregierung” vor, eine sozialdemokratische Minderheitsregierung mit kommunistischer Tolerierung, die am 21. März mit der Wahl des linken Sozialdemokraten und späteren Leipziger Oberbürgermeisters Erich Zeigner zum sächsischen Ministerpräsidenten Wirklichkeit wird.

Eine Siebener-Kommission erarbeitet “Richtlinien von SPD und KPD für die künftige Politik in Sachsen”, welche die Grundlage des Tolerierungsabkommens vom 18. März bildet. Programmatische Hauptpunkte sind die Arbeiter-Einheitsfront und bewaffnete Abwehrmaßnahmen gegen den Faschismus, Bekämpfung von Preistreiberei durch Einrichtung von Prüfstellen, Bildung von Arbeiterkammern und Amnestie für politische, Not-und Abtreibungsdelikte.

Die beiden Parteien arbeiten nun auf Regierungsebene so zusammen wie außerhalb des Parlaments, besonders in den Betriebsräten, und wollen mit “neuen Leuten” die bereits eingeleiten Reformen in Wirtschafts-, Arbeits-, Gemeinde- und Schulpolitik sowie bei der republikanischen Umgestaltung von Verwaltung, Justiz und Polizei konsequenter fortführen. Das soll auch helfen, die im Verlauf der Revolution aufgerissenen Gräben in der sächsischen Arbeiterbewegung zu überbrücken.

So wird Innenminister Richard Lipinski, der Leipzig im März 1920 ohne Not an die Reichswehr übergab, durch Hermann Liebmann ersetzt, mit seiner Mischung aus der Bodenständigkeit eines Gussformers und dem revolutionären Pathos eines LVZ-Redakteurs der “Liebling der Partei”, zu Beginn der Revolution 1918 im Leipziger Arbeiter- und Soldatenrat, seit 1922 aus der USPD zurückgekehrt und wichtige Stimme des folgenden Linksrutschs in der SPD, nun im Landtag maßgeblich an der Konstituierung der “proletarischen Mehrheit” beteiligt.

Ähnliches wie in Sachsen wird in den nächsten Monaten auch in Thüringen passieren: “Arbeiterregierung” und Bewaffnung der Arbeitskräfte. Das Interesse an revolutionärer Bewaffnung und das Interesse an antifaschistischer Bewaffnung fallen mehr und mehr zusammen. In Italien ist der Faschismus bereits an der Macht, in der “Ordnungszelle” Bayern formiert er sich rapide vor allem aus denen, die in den letzten Jahren die Revolution zusammengeschossen haben – und denen, die sie dabei anfeuerten und begünstigten. Ebenfalls am 15. März bestätigt der Staatsgerichtshof das Verbot der NSDAP in Preußen, Baden, Sachsen, Bremen und Hamburg – in Bayern wird die NSDAP hingegen nicht verboten.

Als in den Tagen nach dem Urteil die SA mobilisiert, bis einer ihrer Anführer, Gerhard Roßbach, in der Nacht vom 17. zum 18. März in Berlin verhaftet wird, demonstrieren auch sozialdemokratische Selbstschutzverbände. Die Proletarischen Hundertschaften in Sachsen wollen gegen den heraufmarschierenden Faschismus von der “Arbeiterregierung” bewaffnet werden und hoffen ihrerseits, diese Gelegenheit für einen letzten Anlauf zur Revolution nutzen zu können – auch die Komintern verfolgt jetzt diesen Kurs, auch wenn auf ihrem Kongress in Frankfurt/Main vom 18. bis 20. März das Exekutivkomittee darauf besteht, dass der aktuelle Hauptfeind der französische Imperialismus sei und nur die Kommunistischen Parteien in Frankreich und Deutschland bisher ihrer diesbezüglichen Pflicht nachgekommen seien.

Durch ein Attentat wird in Köln am 17. März Franz Joseph Smeets, Begründer und Vorsitzender der separatistischen Rheinisch-republikanischen Volkspartei, lebensgefährlich verletzt, vermutlich vom Widerstand gegen die französische Besatzungsmacht, welche den Separatismus unterstützt. Am 18. März wird ein französischer Soldat im Essener Hauptbahnhof erschossen. Die Besatzungsbehörde verhaftet daraufhin Bankdirektoren als Geiseln, schließlich erschießt ein französischer Soldat einen nichtverdächtigen Buchdruckereibesitzer.

Am gleichen Tag spricht Reichspräsident Ebert in Hamm vor Vertretern von Gewerkschaften und “Arbeitgeberverbänden” Dank für den geleisteten passiven Widerstand gegen die Besetzung des Ruhrgebiets aus. Der Parteivorstand der SPD warnt in einer Erklärung davor, “den kommunistischen Gimpelfängern zu folgen”, im Interesse “der Partei und der Einheit der Arbeiterbewegung” lehnt er “gerade jetzt entschiedener denn je ein Zusammengehen mit den Kommunisten ab.”

links: Hermann Liebmann, rechts: Erich Zeigner

1923 beginnt: Was bisher geschah
1923 beginnt: 11. Januar – Einmarsch ins Ruhrgebiet
Alle Postings zur Revolution: Revolution in Deutschland 1918-23

Menschen, Autos, Züge und die Welt

February 18th, 2023

💻 Menschen erblicken Menschliches in anderen Tieren, überall in der Natur, in Wolken und Sternen am Himmel, noch verstärkt durch unsere ausgeprägte Fähigkeit Unbelebtes zu beleben, zu animieren, indem wir es gedanklich in Bewegung versetzen. Nun erblicken Menschen in Chatprogrammen, die von Menschen verfasstes Material anordnen, Menschliches. Und manche schreiben (bezahlt und unbezahlt) Texte, die sich glaubwürdig wie besonders seltsame ChatGPT-Sachen lesen. Oh, the humanity!

🚗 Um weniger Erprobungskosten und dadurch mehr Gewinn zu haben nutzt Tesla nicht nur die Kundschaft sondern auch alle anderen Verkehrsteilnehmenden als Versuchskaninchen für seine selbstfahrenden Autos.

🚂 Die Pointe am Zugunglück in East Palestine, Ohio ist nicht, dass die vormalige US-Regierung im Interesse der Bahnunternehmen die Sicherheitsvorkehrungen gelockert oder dass die gegenwärtige Regierung den Bahnstreik für bessere Arbeitsbedingungen Ende letztes Jahr verhindert hat, auch nicht, eine wie große Frechheit die Entschädigungsangebote an die betroffene Bevölkerung sind, sondern dass die Bahn endlich in die Hand der Gewerkschaften gehört.

☣️ In meiner sozialen Umgebung gab es in den letzten Wochen mehrere Corona-Fälle, ich bin weiter vorsichtig, war selbst bisher noch nicht infiziert.

🌐 Ich habe keine Außenpolitik, keinen Staat, keine Verfügung über die gesellschaftlichen Produktionsmittel. Ich kann niemandem Waffen verkaufen, weil ich keine habe. Wenn ich Waffen hätte und jemand bräuchte sie dringend, würde ich sie nicht verkaufen sondern einfach geben. Ich kann die Arbeitskräfte in Russland nicht dazu bewegen den Krieg zu beenden.

🚩 Was ich tun kann, ist weiter für das zu werben, was gegen Krieg, Klimawandel, Ausbeutung und Diskriminierung am wahrscheinlichsten hilft: dass sich überall immer mehr Arbeitskräfte selbst zusammenschließen, mit immer mehr anderen, über Grenzen und Ausschlüsse hinweg, dass sie in und mit ihren Organisationen ihre Interessen durchsetzen und sich Mittel verschaffen um ihre reale Mehrheit zur Geltung zu bringen.

1923 beginnt: 11. Januar – Einmarsch ins Ruhrgebiet

January 11th, 2023

Am 11. Januar 1923 marschieren zur direkten Entnahme von ausgebliebenen Reparationsleistungen nach dem Versailler Vertrag eine belgische und zwei französische Armeekolonnen aus der Umgebung von Düsseldorf und Duisburg ins Ruhrgebiet ein, das sie im Laufe von drei Tagen bis auf Dortmund besetzen. Es gibt spontane nationalistische Proteste dagegen, bei denen Studierende “Die Wacht am Rhein” singen, doch zunächst fällt kein Schuss.

In den kommenden Tagen wächst die Besatzung auf eine Truppenstärke von insgesamt etwa 100.000. Am 15. Januar feuert die Mannschaft eines französischen Militärpostens in Bochum “blinde” Warnschüsse in eine nationalistische Gruppe, die “Siegreich wollen wir Frankreich schlagen” singt – mindestens einer der Soldaten schießt jedoch scharf und tötet einen Jugendlichen, es gibt zwei Verletzte.

Anders als bei den militärischen Polizeieinsätzen der Jahre zuvor, als Reichspräsident Ebert es war, der ins Ruhrgebiet und anderswo schwerbewaffnet einmarschieren und Proteste niederschießen ließ, sendet er nun zur öffentlichen Beerdigung des Jugendlichen ein Beileidstelegramm und kümmert sich um Hilfe für die Angehörigen. Seit November 1922 gibt es eine Reichsregierung ganz ohne Eberts SPD, doch ihr Zentralorgan Vorwärts schreibt staatstragend vom Blut an den Händen der französischen Politik, betont den kriegerischen Charakter des Einmarschs und will keine Notwehr erkennen.

Das war in den Jahren zuvor anders: Als etwa am 6. April 1920 mindestens elf Arbeiter aus Essen und Mülheim, die ihre Waffen bereits Tage zuvor abgegeben hatten, nach “Standgerichten” des Freikorps Roßbach erschossen und verstümmelt wurden, bezeichnete der Vorwärts am gleichen Tag das Vorgehen der schon seit Tagen mordenden Regierungstruppen als „Polizeiaktion“. Ebenfalls an diesem Tag besetzten französische Truppen als Reaktion auf die Verletzung der neutralen Zone durch die aufstandsbekämpfende Reichswehr wie angedroht Frankfurt, Hanau, Darmstadt und Homburg – der Vormarsch der Reichswehr ins Ruhrgebiet wurde jedoch nicht gestoppt, immer noch war es der SPD-geführten Regierung wichtiger, die aufständischen Arbeiter zusammenschießen zu lassen, als einen neuen Krieg mit Frankreich zu vermeiden.

Nun ruft ab dem 13. Januar 1923 die bürgerliche Regierung Cuno zum “passiven Widerstand” auf, sie stellt die nationale Interessenlage offen dem Klassenkampf gegenüber und kann ihn teilweise erfolgreich für sich einspannen. Kooperation mit den Besatzungstruppen wird vor Ort verweigert, es kommt zu Protesten und Streiks, dabei erschießen Soldaten mehrmals Protestierende.

Auch Dortmund wird besetzt, einige nationalistische Lieder werden von der Besatzungsmacht verboten, es wird zum Teil gegen Beleidigung der Truppen vorgegangen, Soldaten begehen sexuelle Übergriffe. Von alldem angetrieben weiten sich Proteste und Streiks zügig aus. Aus dem Interessenkonflikt zwischen deutscher, französischer und belgischer Regierung ist eine ständige Konfrontation von Soldaten und Zivilbevölkerung geworden.

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Übersicht zu den Postings über die Revolution in Deutschland 1918-23.

1923 beginnt: Was bisher geschah

January 7th, 2023

Nach dem letzten offenen Aufstand im Mitteldeutschen Industriegebiet, in Hamburg, im Ruhrgebiet und im Südwesten im März 1921 befinden sich Hunderte auf der Flucht im Untergrund, von denen einige sich bis zu Karl Plättners Verhaftung Anfang 1922 (wenige noch weiter bis 1924) mit Raubüberfällen durchzuschlagen versuchen. Weitaus mehr Beteiligte der revolutionären Kämpfe, soweit sie nicht wie Tausende unmittelbar erschossen wurden, sind nach harten Urteilen dem bereits stark faschistisch geprägten Strafvollzug ausgeliefert, in dem sie Folter und Misshandlungen erleiden müssen, was viele nicht überleben. Die erst 1921 gegründete Rote Hilfe liefert Rechtsbeistand und Unterstützung für Gefangene, Opfer und Angehörige aller Parteien.

Die Konterrevolutionäre haben sich in der “OrdnungszelleBayern konsolidieren können, wo paramilitärische Verbände sowie anderswo verbotene völkisch-antisemitische Gruppen fortbestehen und revolutionären Regungen im Keim erstickt werden. Die NSDAP findet vor allem im Norden Bayerns erstmals eine breitere Basis, vor allem nachdem sie beim “Deutschen Tag” am 14./15. Oktober in Coburg martialisch aufmarschiert und sich Straßenschlachten mit Gegenprotesten liefert.

Im Rest des Reiches verüben nationalistisch-konterrevolutionäre Organisationen Terroranschläge, die im Mai 1922 auch Hamburg erreichen, wo sie trotz ihrer Ausmaße von der SPD-Stadtregierung wenig Aufmerksamkeit bekommen. Erst nach der Ermordung des Außenministers Walther Rathenau am 24. Juni findet sich die SPD-Führung reichsweit zu gemeinsamen öffentlichen Erklärungen mit der KPD bereit, nutzt die Situation jedoch sofort aus um mit dem “Republikschutzgesetz” vom Juli gegen “rechts und links” vorgehen zu können. Schon zwei Tage nach Rathenaus Ermordung hatte die SPD-geführte Sicherheitspolizei von Hamburg das Feuer auf eine Streikkundgebung am Heiligengeistfeld eröffnet.

In der KPD vertieft sich in dieser Situation der Widerspruch zwischen Einheitsfront-Taktik und sozialistisch-revolutionärer Orientierung, während die Partei sich stärker am sowjetischen Vorbild ausrichtet, nachdem die Bolschewiki 1921 den Bürgerkrieg für sich entscheiden konnten. Gleichzeitig strömen die Reste der USPD in die SPD zurück, was zur Neukonstituierung als Vereinigte SPD (VSPD) auf dem Parteitag von Nürnberg am 24. September führt (siehe Bild) und die neue Partei deutlich nach links von der bisherigen SPD treibt. Das begünstigt das Zusammengehen mit der KPD in Sachsen und Thüringen im Laufe des Jahres 1923.

Die anarchistisch-syndikalistische FAUD erreicht 1922 ihren organisatorischen Höhepunkt mit über 100.000 Mitgliedern und ruft zu Weihnachten bei einem Kongress in Berlin als Gegenstück zur kommunistischen Roten Gewerkschafts-Internationale (RGI) die Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA) ins Leben, die ihrem Selbstverständnis nach an die Erste Internationale von 1864-76 anknüpfen will.

Am 14. November bittet die Reichsregierung Wirth um Zahlungsaufschub für die Reparationen aus dem Versailler Vertrag, am 24. November wiederholt nach Wirths Rücktritt der von Ebert neu ernannte Cuno, ein “Mann der Wirtschaft” (Ullrich), diese Bitte. Am 27. November antwortet die französische Regierung mit der Drohung, Teile des Ruhrgebiets zur direkten Entnahme der Reparationen zu besetzen, und beschließt am selben Tag die unmittelbare Vorbereitung des Einmarschs.

Während die deutsche Seite ihre eigene Einschätzung ihrer ökonomischen Situation zum Maßstab für die Reparationen nimmt, die Realität der von vierjähriger deutscher Besatzung verheerten Gebiete nicht zur Kenntnis nehmen will und in der nationalistischen Deutung abwegige Vergleiche zu anderen Friedensverträgen zieht, gehen besonders Frankreich und Belgien als Hauptbetroffene der Besatzung vom angerichteten Schaden und seinen aktuellen ökonomischen Folgen aus. Dieser Konflikt wird sich schon im Januar 1923 drastisch zuspitzen.

Zu den häufigsten Erzählungen über den Aufstieg des Nationalsozialismus gehört, ihn Versailles und der Weltwirtschaftskrise zuzuschreiben – das ist im Kern eine der Lieblingserzählungen der Nazis über sich selbst. (Empfehlenswertes kurzes Video dazu von TimeGhost History: “Versailles Treaty ≠ Hitler’s Rise to Power”)

Es wird hingegen noch mal genau hinzuschauen sein, wer im letzten Revolutionsjahr 1923 in welcher Reihenfolge genau was tut.

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Übersicht zu den Postings über die Revolution in Deutschland 1918-23.

Viele

December 30th, 2022

Viele sind alt, viele sind tot. Manche der Jüngeren sagen viel Richtiges. Bis vor ein, zwei Jahren hätte es heißen müssen: Es wird nicht besser, wenn wir es nicht besser machen. Jetzt wohl: Es wird nicht weniger schlimm, wenn wir es nicht viel besser machen. Und natürlich geht es damit los uns selbst und gegenseitig freundlich und bestimmt die Ausreden zu zerstören, die uns davon abhalten.

Sachsen

November 23rd, 2022

Nebenbei für nächstes Jahr weiter in die Geschichte von 1923 einlesen…

(Ullrich, Deutschland 1923, S. 142)

Drama

November 4th, 2022

Aus “Brechts Versuch zur Getreidespekulation” in der aktuellen Ausgabe der “Wildcat”:

dav

Clickbait-Megakrise!

August 2nd, 2022

Unablässig knattert die Schlagzeilenmaschine: Niemand will mehr arbeiten, junge Leute sind zu gepampert und spinnen rum, überall “fehlen” mysteriöserweise Arbeitskräfte, öffentliche Infrastruktur ist eh rettungslos hinüber, Autos und private Versorgung sind viel aufregender, nur unser aktuelles Schnäppchen schützt sie vor Inflation und Bolschewismus, Pandemieschutz ist sinnlos oder gleich kontraproduktiv, Masken sind Freiheitsberaubung und alle sehen das so, vielleicht stimmt das mit dem Klima doch nicht und die Unwetter kommen von den Grünen, Atomkraftwerke sind vielleicht doch nicht so schlimm und Windkraftwerke die eigentliche Umweltzerstörung, veganes Essen und Kiffen zerfressen vielleicht Körper und Geist, die Nazis waren ein geheimnisvoller Schadenszauber gegen die deutsche Nation, die arme Polizei kriegt immer alles ab und überall lauern doch aber Bedrohungen, Arme sind faul und stellen Ansprüche, Reiche sind großzügig und visionär, Steuern und jegliche Beschränkung des Geschäfts sind DDR 2.0, aus anderen Ländern kommen die Probleme, Fremde sind kriminell und betrügen, echte Einheimische treudoof und tüchtig, Trans ist nur Einbildung und Gendern reine Schikane, die sollen sich alle nicht so haben und sexuelle Ausbeutung ist schon auch irgendwie geil, Männer und Frauen sind nun mal so und so und waren es auch schon immer, Minderheiten tragen mindestens Mitschuld an ihrer Diskriminierung – und immer wieder das vereinnahmende “Wir”, “wir” können uns dieses oder jenes nicht mehr leisten, “wir” sind eh viel wohlhabender als gedacht, sind alle gleichermaßen verantwortlich und müssen bei uns selbst anfangen, müssen uns fragen, was wir fürs Kapital tun können, we’ll never walk alone and we are the champions, einer trage des anderen Boot.

Social Media hat das sicherlich weiter eskaliert, die Strickmuster sind aber viel älter: Einzelfälle aufblasen, reale Mehrheiten verschleiern, Geschichte und Zeitgeschichte auf wenige Personen herunterbrechen, Wissenschaft über- oder gleich komplett fehlinterpretieren, die Interessen von Staat und Kapital naturalisieren, Arbeitskräfte zum Bekenntnis für diese oder jene Kapitalfraktion nötigen und sie entlang aller denkbaren Unterschiede gegeneinander aufhetzen, die Hetze verharmlosen – das alles gern als Frage, Zweifel, mutiger Tabubruch, scharfzüngiger kabarettistischer Heroismus der Meinungsfreiheit.

Und das ist gar nicht unbedingt manipulativ im Sinne von Entscheidungen, die getroffen werden, es ist schlicht profitabel im doppelten Sinne: einerseits direkt durch mehr Clicks und damit Werbeeinnahmen, andererseits aber auch vermittelt durch allgemeine Verstärkung der herrschaftlichen Diskurshegemonie und der Abhängigkeit von dieser Art öffentlicher Kommunikation. Es fördert die Konkurrenz der Arbeitskräfte und untergräbt ihren Zusammenschluss.

Das Erstaunliche ist, wie schlecht das trotz all der Mittel, trotz des ganzen Aufwands und trotz der Hegemonie verfängt, bei wie vielen Themen es weiterhin stabile Mehrheiten in die Gegenrichtung gibt, wie viele Leute auch in den scheinbar verlorensten Winkeln deutlich widersprechen. Und wiederum erstaunlich ist aber, dass sich diese realen Mehrheiten kaum organisiert bekommen, dass sie sich immer wieder von der politischen Repräsentationsebene verschaukeln lassen und sich bei allem, was sie an Hetze erkennbar durchschauen, dennoch einreden lassen, sie wären nicht die Mehrheit und könnten das, was sie für richtig halten, deshalb nicht durchsetzen.

Geben wir dem Quatsch doch den letzten Schubs: Widersprechen, die Widersprüche betonen, das Richtige trotzdem sagen und tun, die Konkurrenz überwinden, uns zusammentun und die Produktionsmittel übernehmen!

Chemnitzer Blutbad vom 8. August 1919

July 18th, 2022

Während meines Aufenthalts beim Antifaschistischen Jugendkongress endlich dazu gekommen, das Denkmal für die Toten des “Chemnitzer Blutbads” bzw. der Chemnitzer Augustkämpfe des Jahres 1919 direkt am Hauptbahnhof zu fotografieren.

errichtet 1977, Bildhauer Hand Dittrich

Ab Juli 1919 hatte es in der Stadt Proteste gegen Lebensmittelnot gegeben, ab Anfang August wurden diese aus bürgerlicher Richtung teilweise antisemitisch gegen jüdische Geschäfte aufgeladen. Die sozialistische Presse verurteilte das scharf, Räte und Arbeiterparteien versuchten mit der Stadtverwaltung zu verhandeln und die Ergebnisse bei einer öffentlichen Versammlung am 8. August auf dem heutigen Theaterplatz zu berichten.

Ausschnitt aus der damaligen Berichterstattung in der “Chemnitzer Volkszeitung” der USPD, entnommen aus “Das Chemnitzer Blutbad” von Arno Bruchardt (Leipzig 1919), komplett hier.

Regierung und Garnison untersagten diese Versammlung durch Verschärfung des Belagerungszustands ausdrücklich, die zusammengezogene Reichswehr griff sie mit Schusswaffen an. Die Demonstrierenden strömten daraufhin zum Hauptbahnhof und konnten die Soldaten teilweise entwaffnen. Die folgenden stundenlangen Kämpfe forderten 36 Tote, davon 22 Soldaten und 14 Zivilisten, mehr als 100 wurden verletzt.

Die Reichswehr musste abziehen, konnte aber durch spätere Besetzung der Stadt die Lage wieder unter ihre Kontrolle bringen. Aus Sicht der Regierungs-SPD war hier ein “kommunistisch provozierter” Aufstand niedergeschlagen worden.

Posting zur Gesamtlage

July 10th, 2022

Ich bin auch nicht besser als andere darin abzuschätzen, wann welche Auswirkungen welcher der laufenden oder kommenden Katastrophen wo mit welcher Intensität ankommen, wer dann wie in der Lage und bereit ist, was genau zu tun und wo es dann zu größeren Radikalisierungen in erfreulichere oder unerfreulichere Richtungen kommt. Ja, der ökonomische und politische Kollaps Sri Lankas war lange abzusehen, aber die Welt ist voller absehbarem Kollaps.

Ganz gute Zusammenfassung des Zustandekommens der Lage in Sri Lanka von vor etwa einem Monat: “Why Sri Lanka is Collapsing

In jeder denkbaren Situation ist es besser, wenn die Arbeitskräfte überall besser selbst organisiert sind, über ihre Organisationen mehr Kontrolle haben, ihre Kämpfe sichtbar machen und verbinden können. Und das heißt auch: die ganze Klasse organisieren bzw. ihr dabei helfen, allen Arbeitskräften mit ihren jeweiligen spezifischen Bedürfnissen und Lebenslagen, nicht nur (vermeintlich) passende Ausschnitte der Klasse, die bestimmten Vorstellungen von Arbeiterklasse(TM) entsprechen, eigene reaktionäre Auffassungen über Geschlecht, Ernährung, Herkunft usw. zu teilen scheinen oder zumindest dafür reklamiert werden können, oder die andersherum mit Themen wie Pflegenotstand, Fleischproduktion usw. in Verbindung stehen.

Es liegt nahe und kann auch ein guter Einstieg sein, besonders krasse Missstände zu skandalisieren, aber es muss immer die Verbindung zu anderen Kämpfen in Gegenwart und Geschichte, in der Nähe und Ferne gesucht werden um nicht maximal als kurzfristige “Chefsache” steckenzubleiben. Wir müssen uns besser kennen und dazu wie dadurch die schillernde Vielfalt der (meist ebenso vielfältig forcierten) Klassenspaltungen, in der Bedürfnisse gegeneinander ausspielt werden, überwinden.

Und wir haben leider keine Zeit. Vor 30 Jahren war die Sache mit dem Treibhauseffekt eigentlich klar, es gab Pophits darüber, Frank Drebin war der Umweltpolizist, wir hatten es mehrfach im Schulunterricht – und dann wurde 30 Jahre lang immer noch mehr Zeug verbrannt und wurden immer noch mehr Autos produziert, damit reiche Leute noch reicher werden konnten. Und jetzt ist es halt zu spät für langsam und geduldig, und das kriegen ja auch die meisten mit. Jetzt überfällt eine Supermacht ein anderes großes Land, nicht zuletzt um es als Konkurrenz im Verkauf von Erdgas auszuschalten. Und jetzt gibt es immer heftigere Unwetter und Dürren, jetzt steht die größte Hungerkatastrophe aller Zeiten bevor. Und jetzt gibt es aber auch Massenproteste, die schon 2018ff. beträchtliche Ausmaße erreicht hatten (Chile, Indien, FFF, Gilets Jaunes, BLM), sich aber noch zu wenig verbinden konnten.

Jegliches Warten auf geschichtliche Momente hat sich ohnehin erledigt, und jegliche Anrufung irgendwelcher höherer Mächte aus Geschichte und Religion war schon immer zu bescheiden – wir, die Arbeitskräfte, sind die höchste Macht, die wir anrufen können. Nur wir können unser aller Bedürfnisse erfüllen und hoffentlich gerade noch so verhindern, dass weite Teile des Planeten unbewohnbar werden – niemand sonst.

Neuer Vortrag auf dem Pfingstcamp (II)

June 1st, 2022

REVOLUTION IN SACHSEN 1918-23

Als der Arbeiter- und Soldatenrat von Dresden im November 1918 die Macht vom sächsischen König (‘Dann macht doch euern Dreck alleene!’) übernimmt, stellt er in seiner ersten Regierungserklärung den Freistaat in den Rahmen der ‘Epoche des Übergangs von der kapitalistischen in die sozialistische Gesellschaftsordnung’ – Daniel Kulla erinnert mit viel Bild und Ton an Sachsen als einen der Hauptschauplätze der deutschen Arbeiter*innenbewegung und der Revolution von 1918-23, deren Niederschlagung den Weg in den Nationalsozialismus ebnete.”

Erstmals dieses Wochenende auf dem Pfingstcamp der Linksjugend Sachsen in Doksy.

Neuer Vortrag auf dem Pfingstcamp (I)

May 30th, 2022

KLASSENKAMPF? ‘SCH MACH GLEI MIT!

Klassenkampf ist nicht alles, aber ohne Klassenkampf ist alles nichts. Daniel Kulla versucht etwas Orientierung zwischen alter und neuer Klassenpolitik zu geben, die immer schon umso erfolgreicher war, je egalitärer und inklusiver sie war. Wie können wir Arbeitskräfte, statt uns um schrumpfende Töpfe miteinander zu kloppen, dafür sorgen, dass der Topf größer wird und irgendwann doch noch alle kriegen, was sie brauchen? Wie können wir Klassenperspektive besser sichtbar machen, Kämpfe unterstützen und verbinden, aus schon gemachten Erfahrungen in Geschichte und anderen Ländern lernen? Welche Rolle können dabei Klassenorganisationen (Räte, Gewerkschaften, Partei) spielen?”

Erstmals dieses Wochenende auf dem Pfingstcamp der Linksjugend Sachsen in Doksy.

Slides zum Plättner-Vortrag

May 6th, 2022

Als Nachtrag zur gestrigen Premiere:

Karl Plättner – Die Revolution in Deutschland und ‘der mitteldeutsche Bandenführer’ (PDF, 6MB)

Und mein Artikel über Plättner:

Weiterkämpfen nach der Niederlage (RLS Sachsen-Anhalt)

8. März 1917: Revolution in Russland

March 8th, 2022

Am Donnerstag dem 8. März 1917, heute vor 105 Jahren, treffen im Stadtzentrum der russischen Hauptstadt Petrograd Streikende und Protestierende sowie einige zu ihnen übergelaufene Soldaten vor allem aus dem nördlichen Industriebezirk (mittlerweile waren dort etwa 90000 im Streik, es gab Hunderte Streiks wegen Inflation und Versorgungsmängeln in Russland in den Wochen zuvor) mit den Kundgebungen zum Internationalen Frauentag zusammen.

Das verbindet auf einen Schlag verschiedene Kämpfe und Sektoren der Gesellschaft und beschleunigt den angelaufenen revolutionären Prozess, der aus etwa 25 Jahren revolutionärer Aufschwünge und konterrevolutionärem Terror entstanden war, so sehr, dass er im Laufe einer weiteren Woche zum Überlaufen der gesamten hauptstädtischen Garnison und der Kosaken, der Bildung einer provisorischen Revolutionsregierung, der Verfügung des vereinigten Petrograder Sowjets über die Kontrolle aller Waffen durch gewählte Soldatenräte und schließlich zur Abdankung des Zaren, zum Ende einer 300 Jahre alten Dynastie und zum Ende der Monarchie in Russland führt.

«Die Februarrevolution wurde in der Brot-Warteschlange geboren. Sie begann, als eine Gruppe Textilarbeiterinnen auf der Wyborger Seite von Petrograd des Wartens müde wurde und wegging, um ihre Männer in den benachbarten Metallfabriken aufzufordern, sich einem Protestmarsch ins Zentrum der Stadt anzuschließen.»

Februarrevolution 1917 in Russland: Organisation, Gewalt, Musik


Bilder zeigen eine Warteschlange für Lebensmittel in Russland, vermutlich Anfang 1917,
die Lage im Ersten Weltkrieg zu diesem Zeitpunkt
und Massenproteste in Petrograd während der Februarrevolution.

Auftritte 2022

February 6th, 2022

Alles vorbehaltlich der Pandemiesituation.

• Do, 24.02.2022, Cottbus, Unbelehrbar: Vortrag “Entschwörungstheorie” (FB-Event)
• Mo, 11.04.2022, Panketal, Rathaus: Vortrag “Entschwörungstheorie” (FB-Event)
• Di, 12.04.2022, Strausberg, Horte: Vortrag “Entschwörungstheorie” (FB-Event)
• Fr, 22.04.2022, Eisenach, RosaLuxx: Vortrag “Lenin – Sohn seiner Klasse?” (FB-Event)
• Fr, 29.04.2022, Hamburg, Tesch: Vortrag “Revolution in Deutschland 1918-23” (Ankündigung)
• Do, 05.05.2022, Leipzig, Lixer: Vortrag “Karl Plättner – Die Revolution in Deutschland und der mitteldeutsche Bandenführer” (Ankündigung)
• Sa/So, 04./05.06.2022, Doksy, Pfingstcamp Linksjugend Sachsen: Vortrag “Revolution in Sachsen 1918-23”, Vortrag Klassenkampf? ‘Sch mach glei mit!
• Mo, 06.06.2022, Bielefeld, Extra Blues Bar: Vortrag “Entschwörungstheorie”
• Fr, 24.06.2022, Osnabrück: Vortrag “LUTHER AUF DAS MAUL schauen”
• Di, 28.06.2022, Berlin, PlanWirtschaft: Vortrag “Identität – Vom ‘Wer sind wir denn?’ zum ‘Was machen wir hier eigentlich?'” (FB-Event)
• Sa, 16.07.2022, Chemnitz, AJZ: Vortrag “Revolution in Sachsen 1918-23” (Antifaschistischer Jugendkongress)
• Sa, 20.08.2022, Frankfurt/Oder, Bucht der Träumer*: Vortrag “Die Hüftbewegung – Was uns zu Menschen machte”
• Sa, 27.08.2022, Lützensömmern, Bildungscamp Linksjugend: Vortrag “Lust, Rausch, Zweifel – Grundsatzfragen im Intimbereich”
• Sa, 03.09.2022, Plauen, Schuldenberg: Vortrag “Lust, Rausch, Zweifel – Grundsatzfragen im Intimbereich” (Terrassenfest)
• Mi, 28.09.2022, Neubrandenburg, AJZ: Vortrag “Klassenkampf? Ik maak gliek mit!” (Ankündigung)
• Mo, 17.10.2022, Berlin, TU: Vortrag “Die Hüftbewegung – Was uns zu Menschen machte” (Kritische Orientierungswoche)
• Fr, 21.10.2022, Halle, Reil78: Ideolotterie
• Mi, 02.11.2022, Leipzig, Demmering 74: Vortrag “Leben im Rausch” (Meinungsmache)
• Di, 08.11.2022, Jena, Infoladen: Vortrag “Klassenkampf? ‘Sch mach glei mit!”
• Sa, 19.11.2022, Leipzig, Linxxnet: Vortrag “Revolution in Sachsen 1918-23”
• Fr, 02.12.2022, Magdeburg, Stadtteilladen Mitmischen: Vortrag “Revolution in Deutschland 1918-23”
• Fr, 16.12.2022, Aachen, AZ: Vortrag “Die Hüftbewegung – Was uns zu Menschen machte”
• Mi, 21.12.2022, Mönchengladbach: Vortrag “Systemausfall ’89/’90 – Das Ende der DDR und die Folgen”

Schon beschlossen, aber wegen der Gesamtlage noch ohne konkreten Termin sind Leipzig (“Systemausfall ’89/’90 – Das Ende der DDR und die Folgen”), Nordhausen (“Entschwörungstheorie”) und Speyer (“Identität”), mehrere Veranstaltungen zur Revolution vor hundert Jahren vor allem in Sachsen. Wer noch mehr aushecken will oder sich daheim die Slides und Materialien anschauen, findet hier mein aktuelles Programm, das auch noch weiter aktualisiert wird.

Nein, es ist nicht vorbei…

January 28th, 2022

… es ist nicht eh alles egal, und dass die Regierung Pandemieschutz fast nur als Show betreibt, war die ganze Zeit schon so – es ist nicht unser Staat, wir bezahlen ihn nur. Und auch die ganze Zeit über war es hauptsächlich deshalb nicht noch schlimmer, weil sich die allermeisten Leute selbst gekümmert und geschützt haben, ein Heer von Freiwilligen, Unterbezahlten und Überarbeiteten Impfungen, Testungen, Behandlung, Betreuung, Aufklärung und Hilfe übernommen haben. Immer noch gelten die schlimmsten Freiheitsbeschränkungen für die zahllosen Immungeschwächten. Impfungen schützen, Booster schützen mehr. Mehr Infektionen bedeuten mehr Mutationen, die Gesamtzahlen, hierzulande wie global, geben keinen Grund zur Entwarnung. Auch geringere Hospitalisierungsraten heißen immer noch Belastung der knappen Kapazitäten, gerade angesichts der Rekord-Infektionszahlen, die nicht mal mehr vollständig erfasst werden.

Es ist wie mit dem Klimawandel – wir sollten nicht aufgeben, uns nicht einreden lassen, es wäre eh nichts mehr zu machen. Dass es schlimm ist und schlimmer wird, heißt nicht, dass wir nicht nach wie vor noch jede Menge Schaden abwenden können und unbedingt sollten.

So sehr ich Ungeduld und Zorn nachvollziehen kann, ist es immer besser, wenn sich der Zorn auf die Herrschaft der Klasse richtet, deren Interesse den Planeten immer weniger bewohnbar macht, und die Ungeduld auf ihren Fall, mit dem Herrschaft insgesamt fallen könnte. Wir können sie nicht darin schlagen, die Realität zu verdrehen und die Widersprüche auf Schlagzeilen herunterzubrechen. Statt triumphieren und uns moralisch überlegen fühlen zu wollen, sollten wir weiter bestimmt und geduldig erklären, wie wir uns alle am besten schützen können. Und wir sollten dennoch albern und lustig sein, uns selbst und einander Entlastung und Erleichterung verschaffen, wo immer wir das können und wo es nicht nur weitere Last erzeugt.

Passt auf euch auf, passt aufeinander auf, unterstützt die Zusammenschlüsse und Kämpfe der Arbeitskräfte um mehr Mittel und geringere Belastung, in denen das Bewusstsein und die praktischen Grundlagen für die Möglichkeit entstehen können, das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft zu kippen und den ganzen Schrecken endlich wirklich ernst zu nehmen.

Mehr aus der Hüfte

January 11th, 2022

Habe auf meine alten Tage offenbar doch noch an einer Art Podcast mitgewirkt – mehr als 2 Jahre nach der Aufzeichnung des Gesprächs mit Lea-Won über meine Hauptthemen und ihren Zusammenhang kann nun dem zweiten Teil gelauscht werden, komplett mit ein paar Lautstärkeüberraschungen und etwas Geraschel, Kapitelunterteilung und weiterführenden Links in der Beschreibung:

“HipHop aka Hüftsprung, Star Trek, Klassenantagonismen und FridaysForFuture”

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